Schneider, Friedrich
Gethsemane und Golgatha
Passions-Oratorium für Soli, Chor und Orchester op. 96, Urtext, hg. von Nick Pfefferkorn
Der Verlag Pfefferkorn hat sich in letzter Zeit mehrfach für das Schaffen von Friedrich Schneider (1786-1853) eingesetzt. Als Pianist der Uraufführung von Beethovens 5. Klavierkonzert gilt uns sein Name als Randnotiz der Musikgeschichte, mit seinem breitgefächerten Wirken als Komponist, Dirigent, Organisator und Pädagoge genoss er bei seinen Zeitgenossen höchstes Ansehen. Nach einer musikalischen Grundausbildung im Elternhaus wurden die Leipziger Thomaskantoren Müller und Schicht seine Lehrer und Förderer. Seine Stellung als Organist der Thomaskirche gab er 1821 auf und wurde Hofkapellmeister in Dessau. Der nachhaltige Erfolg seines Oratoriums Das Weltgericht von 1820 machte ihn bekannt, und in der Folge stellte sein Vokalwerk die Kammer-, Klavier- und Orchestermusik in den Schatten. Der eigentliche Grund hierfür dürfte seine stilistische Orientierung an klassischen Vorbildern gewesen sein. Die zeitgenössische Presse bezeichnete ihn als “Händel unserer Zeit”. Robert Schumann verglich ihn mit einem Baumeister, der alles geschickt und zweckmäßig an die richtige Stelle zu setzen wisse.
Der Text des vorliegenden Passions-Oratoriums von 1838 fasst wie etliche Vorbilder aus dem 18. Jahrhundert die markanten Stellen der vier Evangelien zusammen und fügt Betrachtungen der handelnden Personen und der Gemeinde ein. Letztere kann sich bei kirchlichen Aufführungen an schlichten Chorälen singend beteiligen. Die Christuspartie ist dem Tenor zugewiesen und wird von Bläserakkorden begleitet. Die Handlung des Librettos beschränkt sich weitgehend auf stilisierte Dialoge, und so liegt das Hauptgewicht auf den betrachtenden Chor- und Ensemblesätzen. Die Turba-Chöre sind vergleichsweise kurz und wenig dramatisch. Eine plastische Darstellung erfährt die Spötter-Szene am Kreuz: Insistierende Sequenzen fordern “Nun siehe, wie du dir selber hilfst!”, eine chromatisch absteigende Linie sagt “steig herab vom Kreuze”, eine aufsteigende Skala in den Violinen auf “Gottes Sohn” zeigt, dass dieser ein anderes Ziel hat. Einen starken Kontrast bildet der Schlusschor, dessen feierliches D-Dur in eine jubelnde Fuge mündet. Der abschließende Choral verwendet die Melodie “Wachet auf, ruft uns die Stimme”, die uns aus der Vorweihnachtszeit geläufig ist.
Vereinzelte Unstimmigkeiten inmitten eines ansonsten soliden Urtexts sind zu beanstanden. Im Takt 36 der Einleitung findet sich in der Violine 2 ein dissonantes cis’, eine Konstellation, die sich merkwürdigerweise an vergleichbarer Stelle im folgenden Choral im vorletzten Takt im Tenor wiederholt. Ein Blick in einen im Internet verfügbaren Klavierauszug zeigt jedoch, dass es sich hier um Druckfehler handelt, wie auch in
Nr. 11b, Takt 38 in der 2. Klarinette. Weitere kleine Fehler könnten sich in den Sätzen 10 und 12 finden. Der Verlag sollte diese Irrtümer auf einem beizulegenden Zettel korrigieren.
Jürgen Hinz