Christoph Mayer

Gesund bleiben durch Technik-Coaching

Betrachtungen aus der Sicht eines Geigers und Violinpädagogen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: das Orchester 1/2022 , Seite 24

Die Veröffentlichungen, Seminare und Workshops zum Thema „Musikergesundheit“ nehmen in den vergangenen Jahren zahlenmäßig zu, durchaus zu Recht, wie ich meine. Allerdings wird dabei sehr oft aus Medizinersicht berichtet oder auch grundsätzlich erst einmal ergonomische Hilfe empfohlen. Mir fehlt bei alldem ein wichtiger, für eine langfristige Lösung möglicherweise der wichtigste Aspekt: das Technik-Coaching!

Wenn wir über Musikergesundheit sprechen, sollten wir zuerst über das Gesund-Bleiben nachdenken. Hier sind wir selbst gefragt, entsprechende Aufwärm-Programme zu betreiben (damit ist nicht das „Einspielen“ gemeint), um den Körper belastungsspezifisch auf das Spiel so vorzubereiten, dass mehrere Arbeitsstunden problemlos möglich sind. Zu solchen Übungen findet man zahlreiche Literatur, man kann vieles kombinieren oder auch selbst Übungen erfinden. Mindestens genauso wichtig und wertvoll wie das „Warm-Up“ ist das „Cool-Down“, bei dem wir möglicherweise verspannte Muskeln dehnen und strecken, die Belastung „ausschütteln“, sodass sich unser Körper wieder erholen kann.
Ist es nicht seltsam unlogisch, dass wir es selbstverständlich und notwendig finden, dass Hochleistungs- und Amateursportlerinnen und -sportler, ja selbst unsere Kinder beim Sporttraining ein längeres Aufwärmprogramm durchführen, während wir Instrumentalisten, die ebenfalls Hochleistungssport auf dem Instrument betreiben, dafür selten „Zeit haben“, lieber schnell noch einige schwierige Stellen üben, bevor der Dienst oder die Probe beginnen, und damit unseren Körper möglicherweise bereits in eine Überspannung bringen?
Die Vor- und Nachbereitung sollte keine lästige, zeitraubende Übung sein. Es zeigt vielmehr, dass wir uns und unseren Körper schützen und pflegen wollen, damit wir einen langen, vielleicht manchmal auch anstrengenden Weg möglichst unbeschwert zusammen gehen können.

Vielerlei Ursachen

Durch die Herausforderungen des Studiums, der Probespiele, des Orchesterdienstes, der Ensemblearbeit und der Präsenz auf der Bühne können eine Erwartungshaltung, ein Anspruch und ein Druck zu funktionieren entstehen, die uns scheinbar keinen Freiraum lassen, auftretende instrumentaltechnische Unsicherheiten, Ermüdungserscheinungen oder Schmerzen beim Spielen in Ruhe anzuschauen und zu begreifen – geschweige denn zu versuchen, diese Probleme nachhaltig zu lösen.
Die Suche nach schnellen Ergebnissen führt oft dazu, sich mehr anzustrengen, mehr zu üben und sich selbst immer mehr Druck zu machen. Aus diesen und vielen anderen möglichen Gründen kann sich eine Entwicklung ergeben, die zu ungünstigen körperlichen Lösungen für instrumentaltechnische Aufgaben führt. Komplett unabhängig vom künstlerischen oder technischen Niveau signalisiert unser Körper, dass wir handeln sollten!
Es gibt unterschiedliche, auch individuell verschieden ausgeprägte Technikschulen; jede dieser Schulen kann und wird unter anderem Musikerinnen und Musiker von Weltklasse hervorbringen. Wie stark die entsprechende Technik aber den Körper belastet, hängt von vielen Faktoren ab, etwa der körperlichen Konstitution und Disposition, der Körperhaltung oder dem Alter. Was wir anfangs noch locker „weggesteckt“ haben, belastet uns vielleicht erst nach Jahren auf der Bühne. Sollte sich unsere Körperhaltung im Laufe der Zeit verschlechtern, wird das zwangsläufig peu à peu auch unsere Spieltechnik verändern. Stress oder Auftrittsängste können dazu führen, dass kleine Probleme in der Instrumentaltechnik, die normalerweise locker überspielt werden, plötzlich in den Fokus geraten und in eine Abwärtsspirale führen.

Warnsignale beachten

Wenn die körperliche Belastung so groß wird, dass wir Schmerzen haben und uns krank fühlen, gehen wir zum Arzt oder in eine Musikersprechstunde und hoffen auf Linderung. Zu diesem Zeitpunkt haben wir schon etliche Zeichen unseres Körpers entweder nicht bemerkt, nicht wahrnehmen wollen oder ein Reagieren darauf auf später verschoben.
Es gibt drei Stufen von Warnungen, mit denen unser Körper signalisiert, dass etwas nicht stimmt: Das Gefühl einer körperlichen Ermüdung stellt sich vielleicht schon nach einer anstrengenden Probe ein und ist – sporadisch vorkommend – nicht weiter problematisch. Bei der nächsten Warnstufe mit dauerhaftem Unwohlsein und/oder häufigen Verspannungen sollte gehandelt werden, bevor echte körperliche Beschwerden und ständige Schmerzen beim Spiel als letzte Warnung auftreten.
Es ist nötig, diese Warnsignale richtig zu verstehen, statt darüber hinwegzugehen, weil es uns in dem Moment nicht passt, weil wir es uns scheinbar „gerade jetzt nicht leisten können“ – oder mit welchen Gründen auch immer wir uns vertrösten.
Spätestens bei der letzten Stufe sollten wir über Ursachen und Veränderungen nachdenken, denn die schlimmste Folge einer Fehleinschätzung ist sicherlich der zeitweise oder komplette Verlust der Spielfähigkeit.

Unterstützung von außen

Bei massiven Problemen ist medizinische Unterstützung sicherlich ein guter Anfang, gerade auch zur Sicherheit im diagnostischen Bereich; allerdings kann die Musikermedizin allein – inklusive verschiedener physikalischer Therapien, der Osteopathie und der Psychotherapie – die Beschwerden oft nur lindern und nicht nachhaltig lösen. Denn sollte sich herausstellen, dass die Beschwerden tatsächlich durch das Spielen des Instruments hervorgerufen werden, muss die Lösung sinnvollerweise dort gesucht werden! Eine Überprüfung und möglicherweise Korrektur der individuellen Instrumen­taltechnik kann dann die langfristig beste Lösung sein, gerade wenn man noch lange Zeit und mit Freude spielen möchte oder muss.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2022.