Thomas Ertelt/Heinz von Loesch (Hg.)

Geschichte der musikalischen Interpretation im 19. und 20. Jahrhundert

Band 2. Institutionen – Medien

Rubrik:
Verlag/Label: Bärenreiter/Metzler
erschienen in: das Orchester 6/2022 , Seite 64

In der Musikgeschichte stehen das 19. und 20. Jahrhundert für Entwicklungen, welche eine Vielzahl an tiefgreifenden Änderungen und Neuerungen mit sich brachten. Die zunehmende Etablierung einer bürgerlichen Musikkultur auf dem europäischen Festland, das Bild des reisenden Virtuosen, welcher –
Niccolò Paganini ist hierbei das Musterbeispiel – in fast schon akrobatischer Manier die Massen begeistert, die immer größere Orchesterbesetzung oder die Etablierung des Faches der Musikwissenschaft als universitäre Disziplin und das damit einhergehende Entstehen von Gesamtausgaben auf dem Gebiet der Notenedition waren für das 19. Jahrhundert prägend. Das 20. Jahrhundert brachte durch den technischen Fortschritt zuvor nie da gewesene Möglichkeiten im Bereich des Konzertwesens mit sich – angefangen von der Tonaufzeichnung über die damals neuartigen Medien wie Radio und später Fernsehen bis hin zum Internet an der Schwelle zum 21. Jahrhundert.
Diese Entwicklungen werden im vorliegenden Sammelband detailreich und unter verschiedenen Blickwinkeln veranschaulicht. In seinem Beitrag geht Peter Niedermüller ausführlich auf die räumlichen Gegebenheiten für das Konzertwesen im 19. Jahrhundert ein. So gab es anfangs selbst „in einigen Metropolen des Kontinents […] noch keine genuinen Konzertsäle“. Mit dem Hinweis, dass insbesondere Klavierfabrikanten zur besseren Vermarktung ihrer Instrumente eigene Konzertsäle unterhielten, spricht Niedermüller einen äußerst wichtigen Aspekt bei der Etablierung des öffentlichen Konzertwesens an und benennt mit der Salle Pleyel in Paris zugleich das Musterbeispiel schlechthin. Besonders zu begrüßen ist zudem die Thematisierung von Architektur- und Innenraumgestaltung (Stichwort: „Schuhschachtel“) bei Konzertsaalbauten des 19. und 20. Jahrhunderts, ebenfalls mit der Nennung prominenter Beispiele wie dem Wiener Musikvereinssaal oder dem Gewandhaus Leipzig.
In einem weiteren Beitrag beleuchtet Christiane Tewinkel die mit der Kommerzialisierung des Konzertwesens bedeutsam gewordenen Aspekte wie Marketing und Musikkritik. Dabei umfassen ihre Darstellungen sowohl das 19. Jahrhundert als auch die Marketingstrategien bis in die Gegenwart – unter Einbeziehung aktueller Klassikstars als Beispiele zur Veranschaulichung. Weitere Beiträge widmen sich u.a. den Themenkomplexen Notenedition, Ausbildung, Selbstdarstellung von Solist:innen sowie – als willkommenes Pendant zum Konzertwesen – dem kleineren Rahmen der Lied- und Kammermusikkultur.
Zusammenfassend erweist sich der vorliegende Sammelband als hilfreiche Orientierung bei allen wesentlichen Fragestellungen, welche sich im Zusammenhang mit dem Konzertwesen der letzten beiden Jahrhunderte ergeben. Die umfangreichen Literatur- und Quellenangaben hinter jedem Beitrag dienen nicht nur der wissenschaftlichen Transparenz, sondern bilden zugleich eine verlässliche Basis für weitergehende Recherchen.
Bernd Wladika