Heinz Holliger
Gesammelte Kadenzen, Eingänge und Auszierungen
zu Oboenkonzerten aus Barock und Klassik. Vol. I Solokonzerte / Vol. II Doppelkonzerte
Früher in den 1980er Jahren vor der Zeit eines „freien“ Zugangs zu Noten aller Art, war es während des Studiums, als man vom Lehrer Oboenkonzerte als Hausaufgabe aufbekam, recht schwierig, Kadenzen zu bekommen. Entweder erhielt man eine oder man schusterte sich eine zusammen. Heinz Holliger, damals noch als einer der weltbesten Oboisten unterwegs und ein Vorbild für viele Lernende, spielte seine eigenen. Jetzt erst mit seinen stolzen 85 Jahren brachte er eine zweibändige Sammlung von Kadenzen und Auszierungen aus den Jahren 1957 bis 2021 der wichtigsten Oboenkonzerte aus dem Barock und der Klassik heraus. Wer möchte da nicht das Rad nochmals gerne zurückdrehen.
Holliger selbst meint im dreisprachigen Vorwort dazu: „Kadenzen aufzuschreiben und dann auch immer genau so zu spielen, ist eigentlich meine Sache nicht. Im Laufe der Konzerttätigkeit“, so Holliger weiter, würde das „ex tempore-Spielen“ immer wichtiger. Für ihn sei eine Kadenz ein „Fenster des spontanen Musizierens innerhalb eines historisch festgelegten Textes“. Wichtig sei ihm ferner, „die Spontaneität trotz Festlegung nicht auszuschließen“. Die veröffentlichten Kadenzen sind diejenigen, die damals auf Schallplatte von ihm eingespielt wurden. Und so nehmen beispielsweise die Kadenzen des berühmt-berüchtigten Oboenkonzerts von Mozart allein 13 Seiten Notentext ein (S. 45-57). Diese sind chronologisch geordnet und stammen aus den Jahren 1957, 1970 und 1983, wobei vom ersten Satz des Jahres 1983 nicht nur eine Kadenz, sondern bemerkenswerterweise gleich mehrere Kadenz-Vorschläge notiert sind. Hier betritt Holliger also gleich verschiedene Wege.
Neben den Solo-Konzerten von Carl Philipp Emanuel und Johann Christian Bach, Johann Gottlieb Graun, Franz Xaver Richter, Carl Ditters von Dittersdorf, Joseph Haydn oder Ludwig August Lebrun sind auch einige wie Mozarts Flötenkonzert D-Dur KV 313 für Oboe oder das Doppelkonzert von Domenico Cimarosa eigens umgeschrieben worden. „Als Beispiele für Auszierungen“ dienen das Adagio aus Tomaso Albinonis Concerto A-Moll op. 9/2 sowie das Trio aus dem Brandenburgische Konzert Nr. 1 BWV 1046 von Johann Sebastian Bach.
Der zweite Band enthält unter anderem Kandenzen aus Doppelkonzerten mit verschiedenen Instrumenten – die selbstverständlich festgelegt werden müssen–, wie die großartigen, aber leider nicht oft gespielten Konzerte für Flöte und Oboe jeweils von Antonio Salieri, Cimarosa und Carl Stamitz oder die Konzert von Josef Fiala (Klarinette oder Oboe und Englischhorn) oder das in C-Dur von Georg Druschetzky.
Werner Bodendorff