Nicola Antonio Porpora
Germanico in Germania
Max Emanuel Cencic (Countertenor), Julia Lezhneva (Sopran), Mary-Ellen Nesi (Mezzosopran), Julian Sancho (Tenor) und andere, Capella Cracoviensis, Ltg. Jan Tomasz Adamus
Jubiläen sind aktiviertes Gedächtnis. So auch bei dem zu Lebzeiten gefeierten, 1686 in Neapel geborenen Komponisten Nicola Antonio Porpora, der 1768 im Elend verstarb und zu dessen rundem Todestag so etwas wie eine längst überfällige Renaissance einsetzte. Sein Ruhm gründete sich zunächst vor allem auf sein Wirken als Gesangspädagoge. Zu seinen Schülern gehörten legendäre Kastraten-Stars wie Farinelli und Caffarelli, für deren exquisite Kehlen er ungemein anspruchsvolle Stücke schrieb. Seine Opern, allesamt vokale Bravourstücke, machten ihn zu einem gefragten Komponisten – anfangs in Italien, dann auch international. Im ruinösen Theaterbetrieb Londons war er ein gefürchteter Antipode Händels, in Dresden lieferte er sich mit Johann Adolf Hasse einen heftigen „Opernkrieg“, und in Wien schloss sich ihm zeitweilig der junge Joseph Haydn als Schüler – und als Kammerdiener an. Eine wechselvolle, von Triumphen und Kämpfen geprägte Karriere.
Um die Neuentdeckung Porporas hat sich insbesondere der Countertenor Max Emanuel Cencic verdient gemacht, ein Virtuose des barocken Ziergesangs und zugleich emsiger Promotor einschlägiger Opern vor allem von Händel. Das Theater an der Wien brachte 2017 eine von Cencic betriebene, glanzvolle Produktion der 1732 in Rom uraufgeführten Porpora-Oper Germanico in Germania heraus, die nun auch in gleicher Besetzung bei Decca herauskam – zweifellos ein Markstein in der Rezeption des lange vergessenen Komponisten, der als Lieferant opulenter Stimmakrobatik bislang eher das Eigentum von Kennern und Liebhabern barocker Sangeskunst war.
In dem Werk geht es um das Schicksal einer germanischen Fürstenfamilie, deren Stadt von den Römern bedroht wird. Die Geschichte um Verrat und Heldenmut erhält durch die Liebe zwischen einer Germanin und einem Römer zusätzliche Dramatik. Allemal wichtiger als die Handlung ist der vokale Prunk, mit dem Porpora das verwickelte Geschehen und dessen Skala unterschiedlicher Gefühle überzieht. Die CD-Einspielung verzichtet darauf, die weiblichen Rollen, die ursprünglich alle von Kastraten gesungen werden mussten, durchweg mit Counter-Stimmen zu besetzen – mit Ausnahme der Titelrolle: Hier entfacht der souverän geläufige, technisch wie stilistisch perfekte Altist Cencic ein Feuerwerk spektakulären Ziergesangs – mit Katarakten von Sprüngen, Läufen, Trillern und Kaskaden. Seinen Gegenspieler Arminio singt Mary-Ellen Nesi mit dunklem, grandios beweglichem Mezzo, und vor allem Julia Lezhneva als tragisch liebende Ersinda zeigt sich den haarsträubenden Anforderungen der üppig kolorierten Partitur vollkommen gewachsen. Tadellos auch das übrige Ensemble.
Am Pult der Capella Cracoviensis gelingt es Jan Tomasz Adamus, dem eher konventionellen Orchesterpart des am Muster der Opera seria orientierten Werks farbige Plastizität und dramatische Verve zu verleihen.
Rüdiger Krohn