Schlögl, Michaela / Wilhelm Sinkovicz
Georges Prêtre
Maestro con brio
Es war ihm nicht an der Wiege gesungen. Dass er einst ein weltberühmter Dirigent werden sollte. Das nicht. So beginnt die Biografie von Georges Prêtre, in der Michaela Schlögl und Wilhelm Sinkovicz sich auf die Spuren des Maestro begeben eines Maestro con brio, für den stets die Musik an erster Stelle steht.
Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen im nordfranzösischen Waziers entdeckt Georges früh seine Liebe zur Klassik und lauscht begeistert den Konzertübertragungen im Radio: Wenn er auch nicht ahnt, was diese Musik ihm genau sagen will, er ist mitgerissen von ihrer Verve. Mit einem kleinen Lineal schlägt er den Takt dazu
Nach dem Studium am Conservatoire national in Douai lässt sich Prêtre in Paris zum Dirigenten ausbilden und debütiert an der Oper in Marseille mit Camille Saint-Saëns Werk Samson und Dalila nach einer einzigen Probe. Das Orchester steht ihm dafür nicht zur Verfügung. Er wird die Musiker erst am Abend kennenlernen und sich ihnen ,auf den ersten Blick verständlich machen müssen. Nur die Sänger und ein Korrepetitor am Klavier sind da, um sich mit dem Maestro vertraut zu machen.
Prêtre meistert die Herausforderung mit Bravour und steht von da an im Rampenlicht: Er gilt als Lieblingsdirigent von Maria Callas, er dirigiert an allen großen Opernhäusern der Welt und leitete 2010 zum zweiten Mal das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Ganz einfach ist die Zusammenarbeit mit ihm freilich nicht: In jungen Jahren ist er dem Orchester und den Sängern gegenüber oft so streng, dass er im Ruf eines Zuchtmeisters steht und erst später das nötige Feingefühl entwickelt.
Daneben werfen Schlögl und Sinkovicz auch einen Blick auf Prêtres Privatleben. Seine Tochter stellte den Autoren Aufzeichnungen aus Gesprächen zur Verfügung, und so kristallisiert sich das Bild eines nicht immer ganz einfachen Menschen heraus, der nicht nur im Orchestergraben, sondern auch in der Familie die Zügel fest in der Hand hält. Seiner Frau Gina untersagt er eine Karriere als Sängerin und seine Kinder erinnern sich an ihn als mittelstrengen, aber unberechenbaren Vater. Er ist böse und schimpft, gleich darauf zieht er das Kind, dem er eben gegrollt hat, zärtlich an sich. Er schafft es, über alle Dummheiten hinwegzusehen, aber dann nervt ihn eine Winzigkeit…
So entsteht ein Porträt, das Georges Prêtre als vielschichtige Persönlichkeit zeigt als Musiker, der Partituren liest wie andere Romane, als Mensch, der sich mit Fragen der Transzendenz befasst und die Antworten darauf in seinem tiefen Glauben findet. Abgerundet wird dies mit Erzählungen von Weggefährten, die sich an ihre Begegnung mit Prêtre erinnern, wie der langjährige Intendant der Bregenzer Festspiele, Alfred Wopmann: Er führt zwar einen Dirigentenstab, ist aber in Wahrheit selbst der Dirigentenstab. Er vermittelt seinen Willen über die Körpersprache. Als Schauspieler, Körperkünstler, als Tanzmeister bis zum Clown, der auf dem Orchester spielt wie auf einer Zauberflöte.
Irene Binal