Messmer, Franzpeter

Georg Friedrich Händel

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Artemis und Winkler, Düsseldorf 2009
erschienen in: das Orchester 10/2009 , Seite 65

Dieses Buch aus der Hand legend frage ich mich, was ich nun eigentlich gelesen habe – eine Biografie, einen Roman oder beides zugleich?
Jedenfalls scheint ein Hauptanliegen des Autors zu sein, im Händel-Jahr 2009 den Komponisten seiner vermeintlichen Homosexualität zu überführen. Da erlaube ich mir die Frage: Wen interessiert das in dem Maße, in dem es in diesem biografischen Roman – so möchte ich das Buch nun nennen – immer wieder zur Sprache gebracht wird? Außerdem sind die Belege, wenn es überhaupt welche sind, sehr dünn. Dass Händel dick war, den irdischen Genüssen nicht abgeneigt, ist für den Autor Franzpeter Messmer ein Zeichen für dessen Homosexualität: „Händel erkannte in Italien möglicherweise seinen Hang zur Homosexualität. Seine Lust auf reichliches und gutes Essen, die sich in Italien entwickelte, deutet darauf hin, dass er unter seiner Neigung litt und die fehlende Liebe durch seine Esssucht kompensierte.“ Ja, wer, so frage ich, kann in Italien sein, ohne Lust auf reichliches und gutes Essen zu entwickeln?! Wenn aber die vermeintliche sexuelle Orientierung des Komponisten skandalös erscheinen soll, kommt das Buch um Jahrzehnte zu spät; wenn es zur Normalität des Menschen Händel gehört, wird es zu dick aufgetragen, zu weit ausgeführt.
Überhaupt gefällt sich der Biograf in Mutmaßungen. Man nimmt mehr oder weniger erstaunt eine Besonderheit im Leben des Komponisten zur Kenntnis, eine Begegnung zum Beispiel, um anschließend lesen zu müssen: „So könnte es gewesen sein.“ Da lobe ich mir Ludwig Wittgenstein mit seinem in ganz anderem Zusammenhang geäußerten Satz: „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Hinzu kommen offenbare Fehler. Telemann im gleichen Jahr wie Händel geboren? Händel wurde 1685 geboren, Telemann 1681.
Völlig absurd argumentiert der Autor schließlich, wenn er Egon Fridell vorwirft: „Doch in Zeiten des Nationalismus wurde es einem ,germanischen‘ Komponisten übel genommen, wenn er ,romanische‘ Kultur in sich aufnahm.“ Egon Fridell war Jude und unternahm aus Angst vor der einrückenden SA 1938 den Suizid.
Das Buch enthält einen Anmerkungsapparat, in dem über die verwendete Literatur Auskunft gegeben wird. Eine Quellenliste ist nicht beigefügt, wohl aber ein Register. Die erwähnten Mängel, die immer wieder den Wert der Lektüre empfindlich schmälern, lassen es geraten erscheinen, anderen Biografien des Komponisten den Vorzug zu geben.
Diederich Lüken