Rampe, Siegbert
Generalbasspraxis 1600-1800
Mit der immensen Verbreitung des Generalbassspiels um und seit 1600 ist ein tiefer Einschnitt in der Musikgeschichte verbunden, der nach Riemanns Ausdruck vom Generalbasszeitalter neue Formen des Musizierens sowie musikalische Gattungen wie die Oper hervorbrachte. Der Autor beschreibt diese einschneidende Veränderung als einen Wechsel vom strengen Kontrapunkt zum Kern einer Rhythmusgruppe, die, gemäß damaliger Abbildungen, sich im Zentrum des Ensembles postierte und von der die Einheit der Aufführung, auch hinsichtlich der Stimmung, getragen wurde.
Siegbert Rampe, der schon als Koautor mit einem Werk zu Bachs Instrumentalmusiken prominent hervorgetreten ist, gibt mit dem vorliegenden Buch eine Wissensvermittlung für professionelle Generalbassspieler, die in der Lage sein müssen, ausreichende Kenntnis der Quellen mit der Fähigkeit, die stilistische Entwicklung auf wissenschaftlicher Grundlage auch praktisch darzustellen. Das Buch gliedert sich nach Epochen von Frühbarock (1600-1650) über Barock bis zur Klassik und handelt einheitlich die Quellen, das Instrumentarium, Ornamentik und Improvisation sowie rhythmische Merkmale ab. Ausführlich werden die einschlägigen europäischen Quellen zitiert und analysiert. Sehr genau diskutiert Rampe Abweichungen von den Tonsatzregeln an konkreten Notenbeispielen, etwa bei Bianciardi gelegentliche Parallelbildungen oder unsystematische Stimmzahlerweiterungen, die er in den italienischen Quellen verstärkt ausmacht gegenüber den regelkonformen deutschen Traktaten.
Das Buch begleitet nicht nur fachkundig den Generalbassspieler, es weist auch auf zahlreiche Abweichungen von den gängigen Vorstellungen hin, wie etwa die 7- bis 8-stimmigen Ausführungen im Spätbarock, woraus sich eine klangliche Fülle für die Interpretation ergibt. Mit dem Höhepunkt des Generalbassspiels in der Barockzeit überrascht nicht, dass sich hier besonders virtuose Formen herausgebildet haben, die Rampe am Beispiel Gasparinis, Heinichens und Johann Sebastian Bachs nachweist; der Continuo-Spieler wird gleichsam zum improvisierenden Komponisten. Aus Quellen Johann Friedrich Daubes und des Bach-Schülers Lorenz Christoph Mizler lässt sich eine Begegnung der dritten Art rekonstruieren, wenn Bach selbst aus einem schlecht bezifferten Bass ein ganzes Konzert improvisierte. Sehr ausführlich bespricht Rampe die einzelnen Aspekte dieser Virtuosität, die er u.a. an Dissonanzenbildung, konzertanten Partien und der Bildung von Gegenstimmen aufzeigt. Allerdings wurde hier auch gelegentlich die Grenze des guten Geschmacks ob der Überladenheit des Figurenwerks überschritten.
Mit der Klassik setzt schließlich das historische Ende des Generalbasspiels an und damit verbunden auch eine neue Dynamik, ein neuer Stil: Die Führung der Stimmzahlen in der Aussetzung verlief nun unsystematisch und abhängig nach den dynamischen Erfordernissen der Affektdarstellung. Quantz wird hier als eindrückliches Beispiel eines dynamischen Continuos erwähnt, wie ebenso Mozart, dessen Lützow-Konzert von Rampe erstmals ausführlicher als Quelle für den ausnotierten Generalbass gewürdigt wird.
Steffen A. Schmidt


