Jörn Peter Hiekel/ David Roesner (Hg.)

Gegenwart und Zukunft des Musiktheaters

Theorien, Analysen, Positionen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Transcript, Bielefeld 2018
erschienen in: das Orchester 10/2018 , Seite 65

„Theater findet jederzeit statt, wo immer man ist“, sagte John Cage. Das vorliegende Buch stellt keine geringere Frage als die nach der Zukunft des Musiktheaters! Dafür bietet es Analysen, Ideen und auch Provokatives für all diejenigen, die sich mit dem Ist- und Soll-Zustand von Oper und Musiktheater heute befassen (oder dieses endlich tun sollten, so die Aufforderung von Roland Quitt in Richtung Dramaturgen des Opernbetriebs).
Inspirationsquelle dieser gesammelten Beiträge ist die Münchener Biennale – Festival für neues Musiktheater unter der künstlerischen Leitung von Manos Tsangaris und Daniel Ott. Im Rahmen des Festivals fand 2016 ein Symposium mit dem Festivalmotto „OmU – Original mit Untertitel“ statt, in dem Begriffe wie Original, Themen wie Pluralismus des Musiktheaters, Wünsche wie Variabilität der Formate und Fragen nach künstlerischen Suchbewegungen verhandelt wurden.
Das Resultat ist ein dreigliedriger Band, der ausgehend von einer Standortbestimmung „Musiktheater heute“ über ganz konkrete Beispiele und Analysen bis hin zu einem Abschlussdiskurs namhafter Experten eine gelungene Dramaturgie bietet. In den Gastbeiträgen geht es beispielsweise um Formen des „composed theatre“, um das Format der Briefmarkenopern (Schick), um die Erweiterung klassischer Mozart-Opern (Elzenheimer), um die skurrile Übertitelung von Marthalers „unanswered question“ (Roesner) oder die Tradierung des Tanztheaters von Pina Bausch (Schneider). Erwähnenswert sind zudem die wissenschaftlichen Ausführungen Zencks zu Seiten-, Zwischen- und Überräumen im aktuellen Musiktheater.
Ist der Musiktheaterbegriff des 21. Jahrhunderts der Gegenentwurf zur „guten alten Oper?“ Oder um den Opernforscher Nicholas Till zu zitieren: „I don’t mind if something is operatic, just as long as it’s not opera.“ Der Facettenreichtum der heutigen Ansätze und Verständnisweisen von Musiktheater spricht eher für eine Ergänzung als Ablösung. Denn dass Musiktheater mehr sein kann als ein Umgang mit Tönen, mehr als das Nebeneinander von Regie, Kostüm- und Bühnenbild, mehr als die verrückte Schwester von Oper, wird in vielen Appellen der zahlreichen Autoren dieses Buchs deutlich. Diese fordern natürlich auch Strukturen, Budgets, Offenheit und künstlerisches Teamwork! Deutlich wird anhand dieser Diskussionen allemal der Handlungsbedarf, soll Musiktheater eben nicht die kleine Schwester der „großen Oper“ von und für ein Fachpublikum sein.
Dieses Buch ist informativ und inspirierend zugleich, denn es zeigt eine Haltung. Dennoch wird zu Recht die kritische Frage nach der Rolle der Musik gestellt. Ermisst sich die Bedeutung einer Musiktheaterproduktion tatsächlich noch aus ihrer Musik, oder geht es mehr um ihre Art und Weise, ihre Inszenierung, ihren Rahmen?
Sie bleibt in jedem Fall in Bewegung, die Zukunft des Musiktheaters. Hoffentlich bekommen auch die entscheidenden Personen dieses Buch in die Hand!
Eva-Maria Kösters

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support