Stollberg, Arne und Ivana Rentsch und Anselm Gerhard (Hg.)

Gefühlskraftwerke für Patrioten?

Wagner und das Musiktheater zwischen Nationalismus und Globalisierung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Königshausen & Neumann,
erschienen in: das Orchester 10/2017 , Seite 62

Auch wenn Erscheinungsjahr und Klappentext es nicht direkt verraten: Der Sammelband verdankt seine Entstehung dem Wagner-Jubiläumsjahr 2013. Er enthält die Beiträge eines Symposions, das bereits im Vorfeld des Gedenkjahrs, im November 2012, an der Universität Bern stattfand. Der Untertitel „Wagner und das Musiktheater zwischen Nationalismus und Globalisierung“ deckt nur einen Teil der Bereiche ab, die hier behandelt werden. Der Schwerpunkt liegt auf rezeptionsgeschichtlicher und kulturwissenschaftlicher Ebene – und es war mir zuallererst eine Freude, Beiträge zu Themen zu lesen, die nicht schon hundertfach verhandelt worden sind.
Im Mittelpunkt stehen insgesamt 21 Aufsätze zu den Bereichen „Wagner und das ‚Deutsche‘“ und „Wagner-Rezeption und die europäischen ‚Nationalopern‘“. Die einfachen Anführungszeichen in beiden Überschriften machen bereits in nuce deutlich, wie hier Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte immer mitbedacht und -beleuchtet werden. Das durchgehend hohe (Selbst-)Reflexionsniveau vieler Beiträge sei an dieser Stelle ausdrücklich hervorgehoben. Der in der Tat schillernde Begriff der Nationaloper wird gleich eingangs in drei (bemerkenswert guten!) Aufsätzen noch einmal eigens problematisiert. Eher verstreut und nur notdürftig zusammengebündelt wirken dagegen die letzten fünf Beiträge zu den Themenbereichen „Wagner in der Popularmusik“ und „Aufführungspraxis national/international“ – man wird diese zum Teil sehr gehaltvollen Studien in einem Buch zu Wagner „zwischen Nationalismus und Globalisierung“ sicher nicht erwarten, etwa eine superb-sensible Untersuchung früher Tonaufnahmen von Darstellungen der Isolde.
Welche Entwicklung die Wagner-Forschung, ja das Fach Musikwissenschaft als Ganzes seit dem Wagner-Gedenkjahr 1983 durchlaufen hat, kann man an der Gesamtheit der Beiträge des Bandes instruktiv verfolgen, der so damals sicher nicht geschrieben worden wäre. Die starke Betonung des rezeptionsgeschichtlichen Aspekts und die Einbettung der Thematik in unterschiedliche kulturwissenschaftliche Diskurse – etwa das Nebeneinanderstellen von Richard Wagner und Werner von Siemens gleich im ersten Aufsatz – erweitern den Horizont, überraschen, tun gut!
Die Besprechung von Sammelbänden auf knappem Raum ist keine dankbare Aufgabe. Um niemandem Unrecht zu tun, wurde darauf verzichtet, einzelne Autoren namentlich hervorzuheben (und so andere unter den Tisch fallen zu lassen). Festzuhalten ist aber, dass hier keine Ausreißer „nach unten“ auszumachen sind. Das Textcorpus als Ganzes ist homogen und bewegt sich durchgehend auf gutem bis teilweise sehr gutem Niveau. Dankbar ist der Leser auch für die erkennbar sorgfältige Redaktion der Texte und die solide Verarbeitung des Paperbacks.
Ulrich Bartels