Eine lebendige Hommage an Trauermusik verschiedener Kulturen

Funeralissimo

Matthias Well (Violine), Maria Well (Violoncello), Zdravko Živkovic (Akkordeon)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin
erschienen in: das Orchester 02/2018 , Seite 70

Auch Trauer kann schön sein. Man sagt in Wien nicht umsonst, dass es „eine schöne Leich“ gewesen wäre. Die neue CD von Matthias Well besitzt den heute üblichen Hochglanzschönklang. Well hat 2017 den Fanny Mendelssohn Förderpreis erhalten, bei dem es auch um „die Darstellung eines Konzepts geht, das die musikalischen Ideen junger Künstler widerspiegelt“, wie im Beiheft steht.
Sein Konzept ist die Entdeckung der „Begräbnisvioline“, also der Zunft der Trauergeiger, die es seit der Reformationszeit gab. Allerdings beschränkt er sich nicht auf Europa, sondern versammelt Trauermusiken aus der ganzen Welt. Es geht hier also nicht um Traditionssuche in europäischer Musik zurück bis ins 16. Jahrhundert, sondern um „Weltmusik“.
Man hört auf dieser CD beispielsweise den Allerseelen-Jodler, das berühmte St. James infirmary, das von Louis Armstrong gesungen wurde, das georgische Suliko, das zu den Lieblingsliedern Stalins gehörte, oder Astor Piazzollas Oblivion, das einst Gidon Kremer für den Konzertsaal entdeckt hat. Neben solch populärer Musik erklingt eine Aria di Chiesa von Stradella und das Andante aus Johann Sebastian Bachs a-Moll-Sonate für Solovioline. Es gibt des Weiteren aus dem Bereich der Kunstmusik die Berceuse von Glière oder Porumbescus Andante flébile. Doch auch ein westafrikanischer Totentanz und eine indische Raga dürfen nicht fehlen.
Aber keine Angst, so viel Trauermusik führt hier nicht zu Alpträumen! Denn dazu spielt Matthias Well wie gesagt viel zu schön. Freilich ist sein Violinspiel von einer Schönheit des oberflächlichen Adaptierens geprägt: Wer diese CD konzentriert anhört, ist des Öfteren in der Gefahr, sich zu langweilen oder sich zu ärgern; denn man hört hier keineswegs eine richtige indische Raga, nur die Hommage an eine Raga; der westafrikanische Totentanz ist eine allzu wenig in afrikanische Musik eindringende Komposition von Alexander F. Müller; und der Totentanz nach Motiven des indonesischen Totenrituals von Mathias Rehfeldt hat wenig mit indonesischer Musik zu tun.
Diese CD huldigt einer Weltmusikmode, der es nicht um die Struktur, die speziellen Musizierweisen, das Eindringen in die Tiefe geht. Trauermusik so verschiedener Traditionen (allein schon in Europa!), aus so verschiedenen Stilen vom Barock bis zum Tango und zur indischen Raga so zu spielen, dass ihre Eigenart hörbar wird, dass sie künstlerisch gestaltet wird, sie für ein Publikum, das größtenteils nicht mehr in diesen Traditionen lebt, zu vermitteln und Trauer in all ihren vielen Schattierungen wirklich erlebt und empfunden darzustellen, das ist eine große und schwierige Aufgabe. Bis der erst 24-jährige Matthias Well sie überzeugend verwirklichen kann, muss er noch einen weiten Weg der Erkenntnis, der Lebens- und Musiziererfahrung gehen. So freue ich mich auf ein Remake in zehn Jahren!
Franzpeter Messmer