Piazzolla, Astor
Fuga mi Pasión
A compendium of his fugues for String Quartet
Piazzolla ist mit Recht der berühmteste Tangokomponist der Welt. Seine Synthese aus traditionellem Tango und dem von ihm entwickelten Tango Nuevo, mit Elementen der klassischen Komposition und des Jazz amalgamiert, kann nicht nur als ausgesprochen erfolgreiche Herangehensweise an traditionelles Volksmusikmaterial angesehen werden, sondern auch als gelungene Einlösung einer Form neuer Musik, die nicht bloß den Parolen einer Emanzipation der Dissonanz folgte und regionale Eigenheiten von Musik auslöschte zugunsten eines keimfreien Tonsatzes.
Hier finden jene folkloristischen Ansätze der neuen Musik ihre Fortsetzung, wie sie vom frühen Strawinsky, von Bartók, Janácek und Schostakowitsch verfolgt wurden und in der fusionsartigen Anlage mit Aufführungspraktiken des Jazz radikalisiert sind. Dass Piazzolla neben seinen Tangos auch akademische Komposition betrieb, ist bekannt. Sein ursprünglicher Wunsch, klassischer Komponist zu werden, wurde während des Studiums bei Nadia Boulanger in Paris jedoch vereitelt. Zum Glück nicht ganz. Denn die Fugen sind eine Besonderheit, die die Welt nicht missen sollte. Höchst irritierend, aber voller Lust und Energie klingen diese akademischen Kompositionen weniger nach Johann Sebastian Bach was oft behauptet, aber weder Bach noch Piazzolla gerecht wird , vielmehr entsteht eine ganz eigene, grell akzentuiert perkussive Polyfonie, kontrastiert mit schmachtendem Schmelz; was angesichts des gediegenen Ernstes der Streichquartetttradition eine besondere Herausforderung darstellt.
Der Herausgeber, selbst Cellist und Komponist, hat für die Ensembles damit das Repertoire um eine wunderbare Facette bereichert. Zudem erscheint die Einrichtung für Streichquartett als eine Fortsetzung dessen, was Piazzolla mit seiner späten Einspielung der Five Tango Sensations zusammen mit dem Kronos Quartet von 1990 angelegt hatte. Das fünfte dieser Suite, Fear, ist auch Bestandteil der Sammlung.
Leider nur sehr unzureichend vom Verlag und Herausgeber in ihrer Herkunft kontextualisiert, repräsentieren die vorliegenden Kompositionen eine breite Palette von Piazzollas Schaffensperioden. Aus den 1950er Jahren stammt etwa Lo que vendra, ein Stück, das erst über eine langsame Einleitung zur Fuge kommt, aus den frühen 1960ern Calambre und, mit großer Ausstrahlung, La muerte del un Angel. Fuga y misterio entspringt Piazzollas Tango-Operita María de Buenos Aires aus dem Jahr 1968, sicherlich eine besondere Perle der insgesamt bestechenden Sammlung. Den Zusammenhang zur Handlung macht die Fugentechnik hier besonders eindrücklich als Sinnbild der Flucht Marías nach Buenos Aires. Eine spezielle Nostalgie gewinnt dieses Stück mit der Coda, die ein ländlich volkstümliches Thema unfugiert als Erinnerung lento, con sordino bringt. Schmachtend eben. Der Publikumserfolg ist bei angemessener Interpretation zu Recht gesichert.
Die sieben Kompositionen sind auch im Stimmensatz erhältlich (zu je 91, Euro, alle zusammen kosten 636, Euro).
Steffen A. Schmidt


