Baur, Jürg
Fünf polyphone Miniaturen
für Bratschen- oder Violenquartett, Partitur und Stimmen
Stücke für Ensembles identischer Instrumente üben seit jeher eine besondere Faszination aus: sei es wegen der Homogenität des Klangs, die einen besonderen Fokus auf die Stimmführung, auf Harmonien und Dynamik erlaubt; sei es wegen der Möglichkeit der Herausarbeitung vielfältiger Schattierungen der spezifischen Klangfarben des jeweiligen Blas- oder Streichinstruments. Letzteres steht nur scheinbar im Widerspruch zur Uniformität der Instrumentengruppe, denn jeder Komponist, der für drei, vier oder mehr gleichartige Instrumente schreibt, wird sich darum bemühen, seine Komposition nicht zu monochrom oder zu eingeengt im Tonraum erscheinen zu lassen.
Jürg Baurs Miniaturen sind einerseits sehr stark auf den Bratschenklang ausgerichtet, andererseits steht die virtuose Auffächerung dieses spezifischen Tons nicht im Zentrum der fünf knappen Sätze. Gefragt ist eine robuste, dynamisch breite und im Ensemble geschlossene Klangerzeugung, die beim Zuhörer die Wahrnehmung einer Einheit ermöglicht. Akkordische Passagen nutzen den sonoren Klang der Viola, bewegtere die klare und konturenscharfe Zeichnung. Kaum je geht der Komponist hier über technische Anforderungen hinaus, wie sie im klassischen Orchesterrepertoire abgebildet sind, und nur sehr vereinzelt werden besondere Effekte wie ein Glissando, Flageoletts oder Doppelgriffe eingesetzt.
In den 1998 enstandenen Polyphonen Miniaturen bezieht sich Jürg Baur durch die Vierzahl der Instrumente möglicherweise ebenso sehr auf das klassische Streichquartett, wie die Wahl der Viola die Nähe zum im englischen Barock stilprägend gewordenen Violen-Consort nahelegen mag. Mehr oder weniger gleichberechtigt agieren die vier Stimmen, Imitationen suggerieren auf kleinem Raum Durchführungsarbeit und solistische Alleingänge (zum Beispiel in der ersten Stimme) bleiben auf ein Mindestmaß beschränkt.
Kontraste erarbeitet Baur nicht allein durch die unterschiedlichen Grundtempi, die durch zahlreiche Tempoveränderungen in der Binnenstruktur erweitert werden. Ebenso wird die jeweils übergeordnete klangliche Struktur (mal akkordisch, mal von feineren Linien geprägt) durch Sforzato-Effekte, Pizzicati oder das taktweise Herauslösen einzelner Stimmen ergänzt.
Es gelingt dem Komponisten, diese Kontraste auf engstem Raum unterzubringen: Im Durchschnitt nehmen die einzelnen Miniaturen gerade einmal vier übersichtliche Partiturseiten ein. Darauf bringt Jürg Baur aber durchaus vier bis fünf kontrastierende Episoden unter. Fast darf man von einem polyfonen Klangkondensat sprechen, das die vier Musiker hier herzustellen haben kristallklar im Ton und äußerst trennscharf in der Linienführung.
Daniel Knödler