Yun, Isang

Frühe Orchesterstücke

Bara/Fluktuationen/Dimensionen/Namo

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Internationale Isang Yun Gesellschaft e. V. IYG 003
erschienen in: das Orchester 10/2004 , Seite 86

„Frühe Orchesterstücke“ – das weckt Assoziationen von der Art eines blond gelockten Knaben im Matrosenanzug vor einem Klavier, dessen Pedale zu den weiß bestrumpften Beinchen des jungen Virtuosen noch deutlich auf Distanz gehen. Nicht so bei Isang Yun. Sein „Früh“-Werk, d. h. jenes Œuvre, das vor den eigenen Augen Gnade fand, erlebt ihn als einen gereiften Mann jenseits der Vierzig.
Seine Komposition Bara für Orchester entstand 1960. „Bara“ ist die Bezeichnung eines Schlaginstruments, das beim rituellen Tanz Verwendung findet. Die Komposition vereinigt altkoreanische Klangtraditionen mit jenen dodekafonischen Klangmöglichkeiten, wie sie der Komponist damals eben erst für sich adaptiert hatte. Das dreiteilig angelegte Werk bildet gleichsam einen Klangteppich, in den die Beziehungen zwischen Himmel, Erde und Mensch im buddhistischen Verständnis verwoben sind.
Yuns Fluktuationen kamen 1965 in Berlin zur Uraufführung. In der Chemie bezeichnet „Fluktuation“ das Hin- und Herschwappen abgekapselter Flüssigkeiten, das der Komponist musikalisch in die Aufeinanderfolge einander ablösender Klanggruppen übersetzt. Ein abstraktes Stück, dessen programmatischer Gehalt sich nur schwer erschließt. Beeindruckend indes ist auch hier Yuns Meisterschaft in der Entwicklung großflächiger Klangfelder.
Die 1971 in Nürnberg uraufgeführten Dimensionen verlangen ein großes Orchester mit Orgelbegleitung. In ihnen werden die Antagonismen zwischen dem Himmel (dem Oberen, Göttlichen) und dem Irdischen (dem Unteren, Dämonischen) verklanglicht: Der Himmel entzieht sich dem Unteren. Dabei steht der Orgelklang für das „Obere“, und der Komponist selbst kommentiert: „Der Orgelklang ist dem Stück immer sehr nah, […] aber er entzieht sich immer wieder. Immer ist er ein kleines Stück höher, als der Mensch reichen kann.“
Die Komposition Namo für drei Soprane und großes Orchester kam im selben Jahr wie die Dimensionen zur Uraufführung. „Namo“ ist ein Sanskrit-Wort mit der Bedeutung „Gruߓ oder „Begrüßung“. Ungewöhnlich der Einsatz der Soprane, die nicht nur stimmlich gefordert, sondern auch mit dem Schlagen der Chwago-Trommeln befasst sind – ganz im Sinne einer schamanischen Zeremonie. Im Gesangstext werden Grußformeln, heilige Sprüche und kanonische Lehrsätze miteinander verbunden. Aus dieser Grundlage gestaltet Yun „eine sich allmählich spiralartig steigernde Atmosphäre, die bis zur ekstatischen Entrückung reicht“.
Diese Eigenveröffentlichung der Isang Yun Gesellschaft kann nur gelobt werden: Alle vier Stücke liegen hier erstmals auf einer CD vor und sind daher auch von einer einzigartigen dokumentarischen Relevanz.
 
Friedemann Kluge