Takemitsu, Toru / Dmitry Shostakovich
From me flows what you call time / Symphony No. 5 in D minor
Bonus: Interview with Yutaka Sado
Ein schöneres Geschenk hätten die Berliner Philharmoniker dem japanischen Dirigenten Yutaka Sado zu seinem 50. Geburtstag eigentlich nicht machen können, und doch dürfte der Anlass dieses Debüts des Künstlers seine Freude überschattet haben. Denn der DVD-Mitschnitt seines ersten Dirigats aus der Berliner Philharmonie entstand anlässlich des Benefizkonzerts der Berliner für die Opfer des Tsunamis und des Erdbebens in Japan im März 2011.
Sado ist seit 2005 Künstlerischer Leiter des neuen Hyogo Performing Art Centers im japanischen Nishinomiy und leitet schon seit 1993 als Chefdirigent das Pariser Orchestre Lamoureux. Gefördert wurde er von Seiji Ozawa und besonders von Leonard Bernstein, dessen Musizierstil und dessen kompositorisches Werk ihn nachhaltig beeinflusst haben. Für Bernsteins Partituren hat Sado sich mehrfach in ansprechenden Einspielungen eingesetzt.
In der Philharmonie präsentiert Sado mit den hörbar motivierten Berlinern mit Toru Takemitsus From me flows what you call time und Schostakowitschs 5. Sinfonie zwei gegensätzliche Kompositionen, die den Berliner Philharmonikern unter der impulsiv-umsichtigen Leitung des Japaners viel Gelegenheit geben, ihre Klangsensualität zu demonstrieren. Takemitsus Werk für Orchester und fünf Soloschlagzeuger, ein Auftragswerk der Carnegie Hall von 1990, ist ein für den Spätstil des 1996 verstorbenen Komponisten repräsentatives Werk. Die Verschmelzung von westlichen und östlichen musikalischen Traditionen ist hier mit eher zurückgenommener Komplexität und wenig avancierter Harmonik verbunden. Gelegentlich
erinnert die Musik an Debussy. Die eingängige, repetative Motivik könnte bei einem weniger kompetenten Dirigenten leicht langweilig wirken. Infolge des expressiv-anspruchsvollen Schlagzeugparts ist das Werk für eine DVD-Aufzeichnung sehr interessant. Die fünf Schlagzeuger sind in den Farben der tibetisch-nepalesischen Gebetsfahne gekleidet, die mit fünf Bändern farblich korrespondieren, die von der Decke bis zum Podiumsboden der Philharmonie gespannt sind, was neben der souveränen Bewältigung der anspruchsvollen Aufgabe einen zusätzlichen optischen Reiz ergibt.
Ist Takemitsus Partitur meditativ geprägt, so kann Sado bei der Fünften Schostakowitschs aus dem schier unbegrenzten Potenzial des Virtuosenorchesters schöpfen. Die klangsensiblen Holzbläser mit ihren von beachtlichen Solisten besetzten ersten Pulten, das gewaltig auftrumpfende, dabei nie unkontrolliert grell wirkende Blech oder die Streicherphalanx von größter Geschlossenheit: Man merkt den Berlinern auf dieser auch klanglich überzeugenden DVD an, dass die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten ein ungetrübtes Vergnügen ist.
So virtuos und detailreich die d-Moll-Sinfonie hier auch erklingt ganz unproblematisch ist Sados Ansatz nicht. Das Grell-Doppelbödige und die Parodie stehen bei dieser brillanten Aufführung etwas zu sehr im Hintergrund. Von den existenziellen Bedrohungen, denen Schostakowitsch zur Zeit der Entstehung des Werks ausgesetzt war und die im sinfonischen Subtext ihren Niederschlag fanden, ist so kaum etwas zu spüren.
Walter Schneckenburger