Bella Kalinowska/ Semjon Kalinowsky
From Jewish Life
Bearbeitungen für Viola (Violoncello) und Orgel
Das Musikerehepaar Bella Kalinowska und Semjon Kalinowsky widmet sich in seinen Konzerten und als Herausgeber der Entdeckung vergessener Kompositionen. Dabei ist jüdische Musik ein Schwerpunkt ihrer Arbeit. Nach dem Band Jewish Prayer (2015) veröffentlichen sie nun Werke jüdischer Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts unter dem Titel From Jewish Life in einer Bearbeitung für Viola und Orgel. Viele dieser Werke wurden ursprünglich für Violoncello komponiert, weshalb auch eine Stimme für dieses Instrument mitgeliefert wird.
Abgesehen von den beiden Werken Ravels und Blochs stammen die meisten Kompositionen aus der Feder heute nahezu unbekannter Autoren. Wer kennt schon Leo Zeitlin, Samuel Alman, Joachim Stutschewsky, Fernand Gustave Halphen oder Ludwig Mendelssohn? Achim Seip informiert im Vorwort profund über die Komponisten und über die Bedeutung der Orgel in der Synagogenmusik des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Dass die Rolle der Orgel in der jüdischen Musik heute kaum bekannt ist, hat sicherlich auch seine Ursache darin, dass in der Pogromnacht 1938 etwa 200 Synagogenorgeln vernichtet wurden.
Die einzelnen Stücke zeigen unterschiedliche Aspekte jüdischen Musiklebens. So verarbeitet Eli Zion von Leo Zeitlin eine Volksliedmelodie quasi in der Form einer Tondichtung en miniature: Die Tempowechsel vom Largo am Anfang zum Poco animando, zum Quasi recitando und Maestoso bezeichnen unterschiedliche Charaktere, die dem Spieler eine große Bandbreite an musikalischer Gestaltungskraft abfordern.
Ravels Kaddisch, ursprünglich für Stimme komponiert, ist hier in der Bearbeitung für Viola bzw. Violoncello ein hoch emotionaler Gesang ohne Worte, was ebenso für Blochs ursprünglich für das Cello komponiertes Prayer und Halphens Andante religioso gilt, das Gebetsmelodien aus der Pariser Synagoge vertont. Almans Haftarah hat traditionelle Bezüge zur hebräischen Bibelrezitation, weshalb der Komponist Schriftzeichen des Mittelalters verwendet. Stutschewskys Sechs israelische Melodien entsprechen am meisten dem Titel dieser Sammlung: Sie spiegeln jüdisches Leben in kurzen, charakteristischen Stücken in einer modernen, an Hindemith erinnernden Tonsprache. Am Schluss der Sammlung steht Kol Nidre von Ludwig Mendelssohn, einem fernen Verwandten des berühmten Felix Mendelssohn Bartholdy, das in seiner Intensität durchaus gegenüber Max Bruchs Vertonung bestehen kann.
Die Herausgeber denken mit ihrer Ausgabe für Viola und Orgel sicherlich an Kirchen und Synagogen als Aufführungsort. Die Viola-Stimme lässt sich zumeist in technischer Hinsicht durchaus auch von fortgeschrittenen Laien bewältigen. Doch um den großen Ausdrucksreichtum dieser Musik zu Gehör zu bringen, bedarf es hoher Meisterschaft, weshalb viele dieser Stücke auch für den Konzertbetrieb geeignet sind. Auf jeden Fall eine wertvolle Bereicherung des Viola-Repertoires.
Franzpeter Messmer