Gerold Gruber (Hg.)

Fritz Kreisler

Ein Kosmopolit im Exil. Vom Wunderkind zum „König der Geiger“

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Böhlau, Wien
erschienen in: das Orchester 1/2025 , Seite 66

„Exilarte bringt Musik zurück, die vom NS-Regime verboten wurde.“ Eine treffendere Einleitung als dieses Motto des Vereins könnte es wohl kaum geben. Einer, dessen Musik verboten wurde, war Fritz Kreisler. Gerold Gruber, Gründer von Exilarte, hat anlässlich einer Ausstellung über Kreisler, die 2022/23 im Exilarte-Zentrum der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien zum 10. Internationalen Fritz-Kreisler-Violinwettbewerb gezeigt wurde, das vorliegende Begleitbuch herausgegeben.
Bereits das Coverfoto entzückt den Geigen- und Geigerliebhaber: Wie trefflich der Meister hier getroffen ist, in seinem Charme, seiner Ernsthaftigkeit, seiner Seriosität, seinem Fein- und Freigeist.
Die Autor:innen sind durchaus keine Unbekannten: unter anderem die Österreicherin Ulrike Anton, die auf ihrer Flöte bereits einiges an Exilmusik eingespielt hat; Amy Biancolli mit ihren Biografien und Kolumnen; Alfred Dümling, Musikwissenschaftler und Kritiker; der frühere Plattenproduzent Michael Haas, Mitbegründer von Exilarte.
Zusammengestellt haben sie hochinteressante Texte, Bilder, Dokumente über Fritz Kreisler; in seinem Freundes- und Kollegenkreis während der NS-Zeit; Konzertprogramme, Autografe, handgeschriebene Briefe; wunderbar: die Tischordnung eines Abendessens zu Kreislers Ehren 1940 in New York und ein Auszug aus seinem Studienbuch. Auch private Fotos: der Geiger mit seiner Frau am Klavier und – anrührend – der Zehnjährige mit Geige in der Hand; die erstaunliche Liste seiner Violinen; Zitate von Zeitgenossen, die die Gefahren durch das Regime anprangern und Kreislers Bedeutung als Jahrhundertgeiger deutlich machen; Kreislers Auftritte in der Carnegie Hall in 46 Jahren, darunter 16-mal das Beethoven-Konzert, 19-mal Brahms und
– heute kaum noch aufgeführt – die technisch ebenso anspruchsvollen Werke von Paganini, Spohr und Viotti.
Möchte man überhaupt etwas bemängeln, so ist es vielleicht das Zuviel an Gendern (Beiträger:innen!?) und das Fehlen einer echten Chronologie, die der Untertitel „Vom Wunderkind zum König der Geiger“ erwarten lässt. Dies tut dem Gesamtwerk jedoch keinerlei Abbruch. Hier wird nicht glorifiziert, nicht beschönigt, sondern mitunter auch kritisch angemerkt und – auf der Grundlage gut recherchierter, historisch bedeutsamer Details – sachlich geschildert, ansprechend bebildert, ohne mit Informationen überladen zu sein. Das hübsch und wertig aufgemachte Büchlein in der Hand haltend, hat man nahezu das Gefühl, live durch die Ausstellung zu flanieren, live in verschiedene Lebensabschnitte eines der größten Geiger des 20. Jahrhunderts eintauchen zu können, Live-Kommentaren oder gar Fritz Kreislers Geigenspiel selbst zu lauschen. Schauen und hören Sie mal rein!
Carola Keßler