Reiner Kontressowitz

Friedrich Goldmann – Der Weg zur „5. Sinfonie“

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Von Bockel, Neumünster 2021
erschienen in: das Orchester 11/2021 , Seite 69

Dieses Buch bietet lesenswerte musikwissenschaftliche Informationen zu zwei Werkgruppen Friedrich Goldmanns. Eine kurze Einführung in Werk und Biografie eröffnet das Buch. Man kann es konventionell Kapitel für Kapitel konzentriert lesen (am interessantesten ist dies, wenn man die entsprechenden Werke kennt) oder aber – warum nicht einmal etwas genussvoller arbeiten? – zur Musik Goldmanns lesen.
Wählt man den ersten Weg, erhält man fundierte Analysen im klaren Stil des erfahrenen Musikwissenschaftlers und Lektors Reiner Kontressowitz, der das Werk Goldmanns lange begleitet hat, gespickt mit Notenbeispielen und Zitaten. Sollte man den zweiten Weg wählen, tritt die Musik Goldmanns irgendwann in den Hintergrund und illustriert den interessanten Text. Danach empfiehlt sich ein zweites, weiteres Hören der Musik ohne Buch, um – nunmehr mit musikwissenschaftlichem Material gefüttert – die vielschichtige, teils turbulente, teils subtile Musik klarer und bewusster zu hören.
Beispielsweise das Kapitel zum Essay III aus dem Jahr 1971: Kontressowitz erklärt kurz den Entstehungsprozess des Werks, einer Auftragsarbeit für das Theater Stralsund, und lässt den Komponisten Goldmann im Zitat selbst zu Wort kommen: „Eine verteufelte Situation – aber frisch drauflos“, so in einem Brief an Ehefrau Lina. Goldmann wollte mit Essay III etwas musikalisch „Anständiges“ liefern, ob es den DDR-Kulturoberen nun gefiel oder nicht. „Goldmann und seine Freunde mussten sich oft in sarkastischen Humor retten; glücklicherweise hatten sie prominente, unbelangbare Bundesgenossen wie Paul Dessau und Heiner Müller“, zitiert Kontressowitz aus einem Programmheft von 2019. Tatsächlich erhielt Essay III viel Beifall zur Uraufführung – die Intensität, Farbigkeit und Klangfülle gefiel sowohl Zuhörern als auch Kritikern und Kulturbonzen. Im Weiteren folgen die Spielanweisungen und die erste Seite der Partitur. Das fulminante, dynamisch an die Grenzen gehende und den Musikern mit den aleatorischen Freiheiten viel Raum für Klang gebende, ungefähr 13 Minuten lange Werk wird eingehend analysiert. Spannende, oft lautstarke Massenereignisse auf zwölftöniger Basis stehen hier im Vordergrund. Ebenso genau beschreibt Kontressowitz Essay I und II als erste Werkgruppe Goldmanns.
Die zweite Werkgruppe, die Kontressowitz sich hier genauer anschaut, sind die Klangszenen I bis III, entstanden ab 1991. Goldmann nutzt nun teils andere Stilmittel – Kontressowitz erklärt klar und präzise. Ein „Dauernkonstrukt“ nach mathematischen Zahlenreihen liegt zugrunde, Klangräume werden zugeordnet – weniger Massenereignisse, weiterhin aber virtuose Farbigkeit.
Kontressowitz beendet sein informatives Buch mit den skizzenhaften Plänen Goldmanns zu einer fünften, nicht mehr ausgeführten Sinfonie. Basierend auf einer handschriftlichen Notiz überlegt Kontressowitz nun kurz, wie eine solche Sinfonie hätte aussehen und klingen können. Ein etwas spekulatives Lesevergnügen nach vielen informativen Seiten voller musikwissenschaftlicher Fakten. Literaturliste und Personenregister beschließen das interessante Buch.
Heike Eickhoff