Finnissy, Michael
Fredener Lieder / Janne
für streichorchester, Studienpartitur / für Orchester, Studienpartitur
Hierzulande ist Michael Finnissy noch nicht so oft auf den Konzertprogrammen zu finden. In seiner britischen Heimat dagegen ist der am 17. März 1946 in London geborene Komponist schon lange gern gesehener Gast bei Konzerten und Festivals. Mit über 300 Werken hat Finnissy tiefe Fußspuren in der Musikgeschichte der britischen Inseln hinterlassen, ganz so, wie er es als Student auch wollte. Mit vier Jahren hatte er autodidaktisch begonnen, sich der Musik zu widmen, und mit 19 Jahren ermöglichte ihm ein Gründungsstipendium des Royal College of Music den Einstieg in den akademischen Musikbetrieb als Pianist und Komponist.
Trotz aller Einflüsse einer 1960er-Jahre-Ästhetik von der Underground-Kultur bis zu seriellen Modellen hat Finnissy nie seinen persönlichen Stil verloren; mit einer guten Portion britischen Humors durchwebt er seine Partituren, die nicht selten viel leichter vom Ohr als vom Auge zu entschlüsseln sind. So leichtgängig sie beim Hören wirken, so schwer zugänglich sind mitunter seine rhythmischen und klanglichen Verflechtungen auf dem Papier nachzuverfolgen. Finnissy verfolgt kompromisslos seinen Weg einer authentischen Musik. Ein Weg, der auch Anerkennung findet. Für sein Chorwerk John the Baptist erhielt er 2015 den British Composer Award in der Sparte Kirchenmusik. Im Berliner Verlag Neue Musik sind nun zwei Kompositionen aus dem vergangenen Jahr erschienen: Zum einen Janne für Streichorchester, komponiert für die BBC Proms im Sommer 2015, und die Fredener Lieder, ein Auftragswerk der Fredener Musiktage.
Werke für eine größere Besetzung stechen schon aus dem uvre Finnissys heraus, so auch Janne, das den Spitznamen Jean Sibelius als Namen trägt. Bei der Uraufführung in der Londoner Royal Albert Hall stand dieses Orchesterwerk stilsicher als Einstieg des Abends mit Werken des finnischen National-Romantikers. Wie Sibelius sucht auch Finnissy nach dem Ursprünglichen, dem Natürlichen in der Musik. Doch während Sibelius im finnischen Nationalepos des Kalevalas sich auf die Spurensuche begab, sucht Janne in breiten Collagen nach dem Naturklang: Hauptsächlich im Dialog zwischen Fagott und Streichern breitet sich da ein Klangteppich aus Farbklecksen aus. Die thematische Entwicklung tritt in den Hintergrund.
Dieser flächige Ansatz dominiert auch in der kleineren Form der Fredener Lieder, der Widmungsgabe fürs kleine Festival im südlichen Niedersachsen. Geschrieben für zwölf Solo-Streicher spinnt sich der Klangteppich in mal dichteren, mal aufgelockerten Clustern fort. Kleinintervallige Kantilenen unterbrechen das Kontinuum, erinnern aber mehr an Melodiefetzen denn an ausgeformte Lieder. Dennoch sind die Fredener Lieder ein hübsches Stückchen Kammermusik für erfahrene Ensembles, die dem fragilen Gleichgewicht nachzuspüren vermögen.
Mit dem Wechsel zum Berliner Verlag Neue Musik findet Michael Finnissy vielleicht jetzt doch vermehrt Aufmerksamkeit bei Programmgestaltern jenseits des Kanals. Eine Programmbereicherung sind diese Werke auf jeden Fall.
Markus Roschinski