Franz Willnauer

Frauen um Mahler

Die Wegbegleiterinnen des Komponisten porträtiert nach Briefen, Tagebüchern und zeitgenössischen Dokumenten, mit einem Nachwort von Eleonore Büning

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz
erschienen in: das Orchester 5/2023 , Seite 63

War Gustav Mahler wirklich jener Womanizer, als den ihn Alma Mahler, noch nicht 19-jährig, in ihrem Tagebuch beschrieb? Kann man ihr, die während der letzten zehn Jahre seines Lebens Mahlers Ehefrau und Mutter seiner zwei Töchter war, glauben, wenn sie behauptet: „Mit allen hat er ein Verhältnis gehabt, mit allen“? Die Aussage scheint stark übertrieben, wie Franz Willnauer in Frauen um Mahler belegt. Der langjährige Intendant bedeutender Festivals und Verfasser vieler Musikpublikationen, darunter acht Publikationen über Gustav Mahler, dem Willnauers jahrelange Forschungstätigkeit galt, stellt anhand von zeitgenössischen Quellen Mahler als wichtigen Lebensbegleiter von Frauen an der Schwelle des 20. Jahrhunderts dar.
Willnauers Schilderungen basieren auf Erinnerungen und zahlreichen Briefwechseln der Frauen aus Mahlers Umfeld: seiner Schwestern, Klavierschülerinnen, Jugendlieben oder „seiner“ Sängerinnen. Frauen um Mahler stellt eine große Bereicherung in Bezug auf die Darstellung Mahlers als Mensch und als Künstler dar. Willnauer zeichnet Gustav Mahlers Leben nach als das eines Dirigenten, der erotisch leicht entflammbar war gegenüber jenen Sängerinnen, mit denen er an den verschiedenen Karrierestationen seines Berufslebens, ob in Budapest, Hamburg oder Wien zusammenarbeitete. Zwiespältig, wie die „Flatterseele“ Gustav war, gab es durchaus Sängerinnen, an denen er „nur“ künstlerisch interessiert war, wie an Ernestine Schumann-Henk oder Bertha Foerster-Lauterer. „Devote Bewunderung“ galt Lilli Lehmann. Mahlers 14 Briefe an sie sind noch erhalten geblieben.
Die einschneidendste „Affäre“ war wohl die Begegnung Mahlers mit Anna von Mildenberg, in der er jene Singschauspielerin fand, die seinem Genauigkeitsfanatismus vollumfänglich gerecht wurde – eine Liebe, die durch Mahlers Briefe „seismographisch“ festgehalten wurde. Annas Antworten, so mutmaßt Willnauer, seien aus Angst vor Alma wahrscheinlich vernichtet worden. Ein weiterer großer Stellenwert kommt in Mahlers Leben Cosima Wagner zu. Mahler schrieb untertänigste Briefe, bescheinigt ihr ein „beseligendes Wirken“ und wird daraufhin eingeladen, Bayreuther Aufführungen beizuwohnen. Mahler kann Cosima Wagner sogar dazu bringen, Freundin Anna zu einem Vorsingen nach Bayreuth einzuladen.
Franz Willnauers Anliegen, mehr Klarheit und „sogar Wahrheit“ über das Verhältnis des Komponisten und späteren Wiener Hofoperndirektors zu Frauen zu schaffen, ist spürbar. Es ist ein Verhältnis, das die gesellschaftlichen Normen der Zeit Mahlers widerspiegelt in Bezug auf männliche Dominanz, Chauvinismus und Unterdrückung weiblicher Individualität.

Dagmar Zurek