Franz Schubert

Schubert unfinished

Lieder in der Orchesterfassung von Johannes Brahms und Anton Webern/Symphonie Nr. 7 h-Moll „(Un)Vollendete“ D 759. Florian Boesch (Bassbariton), Concentus Musicus Wien, Thomas Fheodoroff (Konzertmeister), Ltg. Stefan Gottfried

Rubrik: CD
Verlag/Label: Aparte AP 189
erschienen in: das Orchester 05/2019 , Seite 64

Sein Repertoire war nicht auf Barock und Klassik beschränkt: Im Lauf seiner Karriere hat Nikolaus Harnoncourt viele Werke des 19. und 20. Jahrhunderts dirigiert – unter anderem mit den Wiener und Berliner Philharmonikern. Die Urzelle seines Wirkens, der Concentus Musicus Wien, blieb für ihn aber stets ein Spezialistenensemble für alte Musik.
Unter seinem neuen Leiter Stefan Gottfried scheint der Concentus zu neuen Ufern aufzubrechen. Seine erste CD-Produktion nach Harnoncourts Tod enthält Werke von Franz Schubert: sieben Lieder in Arrangements von Johannes Brahms und Anton Webern sowie eine „vollendete Unvollendete“. Letztere hat mehrere Eltern: Seit der Uraufführung der beiden vollendeten Sätze 1865 wurde häufig darüber spekuliert, warum der Komponist die Arbeit nicht beendet hat. Zugleich fühlten sich Musiker und Musikforscher immer wieder herausgefordert, eine viersätzige Gesamtfassung zu erstellen. Im Fall des Scherzos konnte man sich auf ein fast vollständig skizziertes, zum Teil instrumentiertes Original Schuberts stützen. Zu einem Finalsatz fehlen jegliche Skizzen, doch existiert seit Langem die Theorie, es könne sich beim ebenfalls in h-Moll stehenden Entr’acte Nr. 1 aus der zeitgleich komponierten Rosamunde-Musik um das verschollene Finale der „Unvollendeten“ handeln.
Die Sache ist umstritten, fand jedoch in jüngster Zeit im Dirigenten und Musikforscher Benjamin-Gunnar Cohrs einen weiteren Fürsprecher. Er hat 2015 eine neue, viersätzige Urtext-Edition des Werks herausgebracht, die unter anderem 2018 beim Festival Styriarte durch den Concentus Musicus aufgeführt wurde.
Wie klingt nun dieser Schubert? Warm, homogen, atmend, zugleich kantig dort, wo die Dramatik des Geschehens und der Instrumentation (Trompeten, Posaunen!) es erfordern. Wir erleben eine spannende „(Un)Vollendete“, die im Kopfsatz vielleicht zu sehr auf metrische Stringenz setzt, allemal jedoch die Kontraste und Brüche der beiden ersten Sätze deutlich hörbar macht. Deren Abgründigkeiten finden weder im Scherzo noch im Rosamunde-Finale eine adäquate Fortsetzung. War Schuberts Entscheidung, nicht weiterzukomponieren, doch mehr als nur ein beiläufiges „Liegenlassen“?
Nicht restlos überzeugen können die Lieder im Gewand der Nachgeborenen: Mögen Brahms’sche Orchesterfarben noch kompatibel sein mit dem Klang des Concentus Musicus, so gemahnen Weberns sordinierte Horntöne doch sehr an die Welt der Neuen Wiener Schule. Florian Boeschs Bariton mutet seltsam rau und wenig ausgeglichen an. Wir vernehmen eine Stimme, in der zwischen den Extremen kaum strömender Mittelklang zu existieren scheint.
Übrigens: Einige zusätzliche Informationen zur Quellen- und Rekonstruktions-Situation der Symphonie und zu den Interpreten hätten dem kargen Booklet gut zu Gesicht gestanden.

Gerhard Anders