Dömling, Wolfgang

Franz Liszt

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: C.H. Beck, München 2011
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 65

Niemand hat Franz Liszt, jene schillernde, faustische, das gesamte 19. Jahrhundert zusammenfassende Künstlerpersönlichkeit, treffender charakterisiert als Liszt selbst: Gegenüber seiner Gefährtin Carolyne Fürstin Sayn-Wittgenstein nannte er sich „halb Zigeuner, halb Franziskaner“ und verwies damit auf die zwei prägendsten seiner zahlreichen Seelen. Wolfgang Dömling, Autor der vorliegenden Neuerscheinung, kommentiert: „Im Gewand eines Scherzes erscheinen hier unmissverständliche Chiffren ungebärdiger Musizierlust und frommer Bescheidenheit. Und es sind auch Metaphern für eine äußere und innere Freiheit: Zigeuner wie Franziskaner sind arm, aber frei von bürgerlichem Besitz- und Statusdenken.“
Ein entspannter, von tiefem Verständnis und großer Sachkenntnis geprägter Ton zeichnet diese aus Anlass des Liszt-Jahres 2011 erschienene Publikation über einen Künstler aus, der alles war – Wunderkind, Salonlöwe, größter Pianist seiner Zeit, Komponist, Dirigent, Förderer, Pädagoge, Philanthrop, gottsuchender Eremit – und der doch bis in unsere Zeit vielen Musikfreunden suspekt blieb. Dömlings knappes Buch ist bestens geeignet, manches noch in Umlauf befindliche schräge Liszt-Bild zu korrigieren: Nicht (oder zumindest nicht ausschließlich!) mit einem egomanischen Klavierdonnerer und Womanizer und ebenso wenig mit einem dogmatischen Parteigänger Wagner’scher Zukunftsmusik haben wir es zu tun, sondern mit einem Mann, dessen Bildung und Anspruch einen weiten Horizont abschritt. Liszts künstlerisches Denken bezeichnet Dömling als „poly-perspektivisch“: „[Das] Neue in der Musik war ihm stets, wie auch sein gesamtes kompositorisches Œuvre zeigt, ein offenes Projekt.“
In sieben Kapiteln folgen wir Liszts Lebenswegen – aus der österreichisch-ungarischen Provinz über Paris, die Schweiz, Italien, Weimar und Budapest bis nach Rom –, und währenddessen rückt Dömling, Emeritus der Universität Hamburg, manch liebgewonnene Legende gerade, beispielsweise jene, dass Liszt in einem „armseligen Schafhirtenhaus“ aufgewachsen sei – in Wahrheit war es ein ehemaliger Adelssitz, den Liszts ehrgeiziger Vater als Esterházy’scher Beamter bewohnte – oder auch jene, dass er die „Ordines minores“ aus Berechnung, auf eine Anstellung im Vatikan spekulierend, empfangen habe. Als Leser dieses Buchs erhalten wir einen gewiss komprimierten, vor allem aber unverstellten Blick auf Leben und Werk Franz Liszts. Der Autor stellt zumal Werkgruppen wie die Ungarischen Rhapsodien und die Sinfonischen Dichtungen – noch heute teils belächelt, teils befehdet – in den angemessenen historisch-ästhetischen Kontext und lässt ihnen so Gerechtigkeit widerfahren.
Trotz äußerst sparsamer Literaturhinweise (ungewöhnlich genug!) und gelegentlicher Privatismen Dömlings – etwa seiner Einlassung über die heutige „Kulturhauptstadt-Schwemme“ – kann dieser C.H.-Beck-Band im Kontext der Liszt-Bizentenar-Veröffentlichungen als zuverlässige Informationsquelle sehr empfohlen werden.
Gerhard Anders