Stefan Frey
Franz Lehár
Der letzte Operettenkönig. Eine Biographie
Schon seit seiner Promotion befasst sich Stefan Frey mit dem Werk Franz Lehárs. Seitdem arbeitet
er an Theatern und beim Radio und kämpft für den Erhalt der Operette als kulturelles Erbe. Dementsprechend erweist er sich als ausgezeichneter Kenner der Materie und legt mit dieser Biografie eine umfassende Lebens- und Werkschau des Komponisten vor.
Das sehr gründliche und äußerst kenntnisreiche Werk breitet den Werdegang vom virtuosen Geiger zum autodidaktischen Komponisten aus, der eine persönliche Empfehlung von Johannes Brahms erhielt. Zu erfahren ist vom Vakuum der Operettenzeit um die Jahrhundertwende, als sich die Gattung schwer tat, Neuerungen zu vollziehen und sich dem Geist der Zeit anzupassen. Gerade in dieses Vakuum stieß Lehár vor und mit der Lustigen Witwe bahnte sich der große internationale Erfolg an, der ihn zum letzten und zugleich auch erfolgreichsten Operettenkönig überhaupt machte. Diese Entwicklung, die von den Anfängen seines Schaffens bis in die letzten Werke präzise nachvollzogen und vielstimmig belegt wird, ist spannend zu lesen und begründet Lehár nicht nur als wichtigen Gegenstand der Musikgeschichte, sondern auch als ein kulturwissenschaftliches Phänomen.
Wie einst Siegfried Kracauer mit seinem Buch zu Jacques Offenbach eine Studie zur Pariser Gesellschaft und ihrer Identitätsfindung durch die Operette des 19. Jahrhunderts entworfen hatte, so schafften es auch Lehár und seine Librettisten zunächst für die Wiener Gesellschaft, dann aber auch weltweit, Klänge und Figuren damaliger Identitätsstiftung zu finden.
Frey ist sich dieses kulturwissenschaftlichen Auftrags sehr bewusst und bekennt sich zu Kracauers Ansatz, den er jedoch als nicht einlösbar bezeichnet, da die gesellschaftliche Situation zu Lehárs Zeit mit dem Paris des 19. Jahrhunderts nicht mehr vergleichbar sei. Ob dies aber tatsächlich an der veränderten Gesellschaft liegt oder nicht vielmehr im methodischen Ansatz des Buches selbst begründet ist, wäre eine berechtigte Frage.
Die kulturwissenschaftlich relevanten Fragen zur Identitätsstiftung wie auch zur Genderthematik werden lediglich gestreift. Die vielen Adorno-Zitate, durchaus passend und klug gesetzt, wirken daher eher wie eine gut gelungene Garnitur. Adornos Kritik an Kracauers Werk, dass die Musik selbst zum Gegenstand der Betrachtung werden müsse, um die soziologischen Thesen analytisch zu stützen, trifft auch auf Frey zu. So gediegen die Biografie und so präzise wie einfühlsam gestaltet die Werkentwicklung auch sein mag – zudem durchaus aufwendig mit schönem Bilderdruck zusätzlich dokumentiert: Notenbeispiele oder genauere Besprechungen der Musik oder der Werkdramaturgie finden sich hier nicht. Dadurch wird das Buch zu dem, was es ist: eine ausgezeichnete Biografie eines Operettenkomponisten und seiner Werke im traditionellen Stil. Aber es wird auch deutlich, was es nicht ist: eine kulturwissenschaftliche Analyse des damaligen Zeitgeschehens, die sich am musikalischen Beispiel der Operette hätte vertiefen lassen können.
Steffen A. Schmidt