Dorothea Walchshäusl
Frankreichs Orchester in ihrer Brillanz
Das Festival de Pâques in Aix-en-Provence feiert nach der Pandemie seine Wiederkehr
Aix-en-Provence, Stadt des Lichts, des Lavendels und der Brunnen. Ein bisschen scheint es, als würden die intensiven Aromen und Impressionen auch in der Musik widerhallen, die den Ort während des Festival de Pâques prägt.
Ein Besuch am letzten Festivalwochenende: Seit zwei Wochen schon ist die Stadt im Festspielfieber, Zuhörer:innen aus verschiedenen Ländern spazieren vom Grand Théâtre de Provence den Boulevard entlang zum Théâtre de Jeu de Paume, besuchen Meisterkurse im Konservatorium und trinken einen Petit Café an der Bar der Oper, bevor es weitergeht zur nächsten Location. 2013 gegründet, hat sich das Pâques Festival längst in der Stadt etabliert. Renommierte Künstler:innen wie Daniel Ottensamer, Yuja Wang, Juan Diego Flórez, Stephen Kovacevich oder Raphaël Pichon sind hier ebenso zu Gast wie bislang weniger bekannte Interpret:innen; die Genres der Konzerte reichen von Soloabenden über Kammermusik bis zu Symphonie- und Vokalkonzerten.
31 Konzerte an 17 Tagen mit 812 Künstler:innen und rund 25000 Zuschauer:innen – das sind die Zahlen des diesjährigen Festivals. Was dahinter steckt, wird auf den Plakatwänden entlang der Straßenzüge proklamiert und ist hier tatsächlich so zu erleben. „Festival d’émotions“ prangt dort in großen Lettern, dazu Bilder von Musiker:innen in Großaufnahme, persönlich und nahbar.
Mit dem Geiger Renaud Capuçon hat das Festival einen umtriebigen Kommunikator als künstlerischen Leiter. „Ich wollte immer schon viel mehr, als nur Geige zu spielen“, sagt er, der in der Gestaltung von Festivals seine zweite große Leidenschaft gefunden hat. Um ein gutes Festival zu organisieren, müsse man vor allem fähig sein zu bewundern. „Ich selbst bewundere maßlos und genieße es ungemein, meinen Kollegen zuzuhören und das mit anderen Menschen zu teilen“, sagt Capuçon. Davon angetrieben, feilt er das ganze Jahr über an den Programmen. Schwergewichtig und leichtfüßig zugleich sollen sie sein, ungewöhnlich, attraktiv und bewegend. Auf der Suche nach derartigen Kombinationen folgt der Leiter seinem Instinkt und vergleicht sich mit einem Koch, der ein verlockendes Kochbuch entwickeln möchte.
Vor gut zehn Jahren fand er sich in einer denkbar luxuriösen Ausgangslage wieder. Da war mit der CIC-Bank ein Sponsor, der bereit war, eine große Summe zu geben bei gleichzeitiger Gewährung vollkommener Freiheit, was die künstlerische und örtliche Gestaltung des Festivals anbelangte. Capuçon machte sich auf die Suche und stieß mit Aix-en-Provence auf eine Stadt, die er als „Salzburg des Südens“ und als perfekten Ort für ein Osterfestival ausmachte. „Diese Stadt hat die ideale Größe, ein kulturaffines Publikum und attraktive Spielorte“, so Capuçon. Zudem findet hier im Sommer seit 70 Jahren alljährlich ein renommiertes Opernfestival statt, während im Frühling vergleichsweise wenig passierte.
In Dominique Bluzet, der als Direktor des Grand Théâtre in Aix-en-Provence das ganze Jahr über in der Stadt lebt und die lokalen Gegebenheiten kennt, fand Capuçon einen begeisterten Mitstreiter. Bis heute leitet das Duo das Festival, Capuçon als künstlerischer Leiter, Bluzet als kaufmännischer Manager. Wie hoch die gesponserte Summe ist, über die sie verfügen können, bleibt geheim. Das Gesamtbudget inklusive der Konzerteinnahmen beträgt rund drei Millionen Euro. Eine stolze Summe also, mit der Capuçon kalkulieren kann.
Als musikalischer Koch scheut Capuçon übergeordnete Motti und möchte sich vielmehr die größtmögliche Freiheit bewahren. „Die Erstellung des Programms gleicht einem riesigen Puzzle, das sich ständig neu bildet.“ Dabei stößt er da auf ein spannendes Werk, dort auf eine reizvolle Idee, hier auf einen mitreißenden Kollegen. Dann beginnt es in ihm zu arbeiten, er kombiniert und fügt zusammen. „Mir geht es darum, das Publikum zu überraschen: mit jungen Talenten, besonderen Interpretationen oder selten aufgeführten Werken“, so der Geiger.
Einen Schwerpunkt gab es 2022 dennoch. So holte das Festival zahlreiche französische Orchester auf die Bühne, etwa das Orchestre Philharmonique de Radio France – es eröffnete das Festival unter Leitung von Barbara Hannigan mit Mozarts Requiem –, das Orchestre Philharmonique de Nice, dirigiert von Lionel Bringuier, das Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo oder das Orchestre national d’Auvergne mit Thomas Zehetmair am Pult und an der Geige. „Wir haben so viele fantastische Orchester in Frankreich, die in den vergangenen zwei Jahren sehr gelitten haben unter der Pandemie. Diese Ensembles wollten wir nun ganz bewusst zeigen in ihrer Brillanz“, so der Leiter.
Wie überall war das Festival durch die Corona-Pandemie massiv beeinträchtigt. 2020 musste es gecancelt werden, im Jahr darauf wurde gestreamt. So feiert das Festival 2022 auch die Rückkehr zur Fast-Normalität. „Jetzt wieder Live-Konzerte vor Publikum spielen zu können, ist einfach fantastisch“, sagt Capuçon. Und tatsächlich: Die Freude des Neustarts ist auf und vor der Bühne greifbar.
Ohnehin rührt der Charme dieses Festivals von musikalischer Größe auf kleinem Raum. Die Wege zwischen den Spielstätten sind kurz und die Distanz zwischen Künstler:innen und Zuhörer:innen gering. Das zeigen auch die Konzerte am letzten Festspielwochenende. Im schmucken Théâtre de Jeu de Paume schwelgen Rachel Harnisch und Marina Viotti mit feiner Ironie und Innigkeit in verschiedenen Liebesliedern von Johannes Brahms, wenig später erklingt im Grand Théâtre Beethovens Tripelkonzert mit dem Trio Zeliha an den Soloinstrumenten sowie die Eroica, die vom Orchestre National des Pays de la Loire unter Leitung von Gábor Takács-Nagy hoch energetisch und mit tänzerischem Gestus dargeboten wird.
Mit Renaud Capuçon und Martha Argerich stehen am Abend darauf zwei Musiker:innen auf der Bühne des Grand Théâtre, die sich seit über 20 Jahren kennen. Dieses Vertrauen spiegelt sich wider in ihrem Spiel und taucht die Klassiker der Duoliteratur, Schumanns Sonate für Geige und Klavier op. 105, Beethovens Kreutzer-Sonate und César Francks A-Dur-Sonate, in intensives Licht. Tags darauf dann der Abschluss – Bruckners 7. Symphonie in kammermusikalischer Fassung von Hanns Eisler: neun Musiker:innen nur, die das gewichtige Werk transparent ausleuchten und ihre Spielfreude direkt hineintragen ins Publikum.
Capuçons Rezeptur ist aufgegangen in diesem Jahr – die Fortsetzung folgt vom 31. März bis 16. April 2023.