Frank Martin
Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke
Okka von der Damerau (Alt), Philharmonia Zürich, Ltg. Fabio Luisi
Von der Musik als einer Art textlosen Sprache war Rainer Maria Rilke fasziniert, vielleicht gerade deshalb, weil er selbst ein höchst skrupulöser Wortartist war. Du Sprache, wo Sprachen enden, heißt es in seinem Gedicht An die Musik; und an anderer Stelle wird Musik zum Atem der Statuen. Die Welt der Töne und Klänge wird in Rilkes Werk immer wieder beschworen, mit Stichworten wie Lied, Gesang, Geige, Glocke oder Orpheus. Dem Gong hat der Dichter sogar ein eigenes Poem gewidmet und das Instrument in eine Art Seelenspiegel umgedeutet: Nicht mehr für Ohren
, Klang, der, wie ein tieferes Ohr, uns, scheinbar Hörende, hört.
Gleichwohl scheint Rilke aber auch eine gewisse Skepsis gegenüber den dionysischen, nicht kontrollierbaren Zügen der Musik gehegt zu haben. Vertonungen seiner Werke stand er ablehnend gegenüber. Sie wissen, wie wenig Rührung ich empfinde über dieser Zuthunlichkeit der Musik zu meinen, sich selbst genügenden Anlässen, schrieb er 1926 an den Verleger Anton Kippenberg.
Diese Art von Zuthunlichkeit erfuhr vor allem die 1899 geschriebene, 1912 veröffentlichte Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke. 1919 entstand eine Kantate von Paul von Klenau, 1922 schrieb Kurt Weill eine symphonische Dichtung. Rilkes Aversion zum Trotz sollten noch mehrere Vertonungen folgen, unter anderem von Viktor Ullmann, Siegfried Matthus und Hermann Reutter.
Die Soldatenballade, Kultbuch der deutschen Soldaten im Ersten Weltkrieg, reizte auch den Schweizer Komponisten Frank Martin vielleicht nicht zufällig im Kriegsjahr 1942. Martin schrieb eine Fassung für Orchester und Alt, die dem Rilkeschen Text genügend eigenen Raum zur Entfaltung lässt. Das kommt vor allem in den zahlreichen parlandoartigen und ariosen Partien zum Ausdruck.
Zugleich degradiert Martin die Musik nicht zur bloßen Klangkulisse. Vermutlich mehr, als Rilke lieb gewesen wäre, lässt er Klangbilder entstehen und setzt Figuren, Akkordverbindungen oder auch bestimmte Besetzungstypen quasi als Leitmotive ein. Seine typische Klangsprache, die aus einer Verschmelzung von Zwölftontechnik und tonaler Harmonik entsteht, wendet Martin auf eine Weise an, die man als asketische Raffinesse bezeichnen könnte, von Ausnahmen abgesehen wie etwa der rauschhaften, üppig instrumentierten Festszene im Schloss. Zudem ist er ein Meister der stilistischen Anverwandlung, etwa, wenn er das Lied des Cornets im Gewand eines frühbarocken Chorals wie aus der Vergangenheit herüberklingen lässt.
Der Philharmonia Zürich unter Leitung von Fabio Luisi ist mit dieser Liveaufnahme aus dem Opernhaus Zürich eine sehr klangschöne und geradlinige Interpretation gelungen. Okka von der Dameraus natürlich geführte, rund klingende Stimme fügt sich bestens ein.
Mathias Nofze