Riccardo Zandonai

Francesca da Rimini

Sara Jakubiak (Sopran), Jonathan Tetelman (Tenor), Ivan Iverardi (Bariton), Charles Workman (Tenor), Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin, Ltg. Carlo Rizzi, Regie: Christof Loy

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Naxos
erschienen in: das Orchester 6/2022 , Seite 81

Francescas Schicksal gehört seit Dantes Commedia zum Kanon italienischer Literatur. Der Komponist Riccardo Zandonai erlebte das Bühnendrama Francesca da Rimini von Gabriele d’Annunzio, erkannte den Opernstoff und kein Geringerer als Tito Ricordi schrieb ihm das Libretto: Wortgewalt und Kenntnis der italienischen Renaissance flossen ineinander; die schöne, sensible und leidenschaftliche Francesca wird aus machtpolitischen Gründen an einen von drei Brüdern verschachert – sie glaubt an „Paolo il Bello“, in den sie sich auf den ersten Blick verliebt, der aber nur als Prokurator für seinen grobschlächtigen, hinkenden Bruder Gianciotto auftritt; dieser ertappt später die ehebrecherischen Liebenden und ersticht sie.
Diese dramaturgisch überzeugend gewobene Handlung, in der das Liebespaar bei gemeinsamer Lektüre sich ausdrücklich auf den Artus-Roman von Tristan und Isolde bezieht, wurde eine reizvoll-packende Opern-Orchidee. Für die sänger-darstellerisch heraufordernde Titelfigur konnte die Deutsche Oper abermals Sara Jakubiak mit Regisseur Christof Loy zusammenbringen. Atemverschlagend tritt der sensibel-schönen Jakubiak-Francesca dann der junge Franco Corelli – nein, sein vokaler und äußerlicher Wiedergänger Jonathan Tetelman als Paolo gegenüber. Den wuchtigen, in der Maske einem König Marke angenäherten Gianciotto gestaltet Ivan Iverardi mit herrlich dunklem Bariton überzeugend brachial. Perfekt rollendeckend die übrige Besetzung. Sie alle hat Bühnenbildner Johannes Leiacker in einen großen, hellen Saal eines italienischen Palazzo versetzt: Blumentapete, Schiebetür zum Wintergarten mit Blick ins Grüne – Adaption einer Landschaft von Claude Lorrain.
Dirigent Carlo Rizzi steigert mit dem großen Orchester der Deutschen Oper Berlin das Zusammenfinden und den Zusammenklang der Liebenden klug – somit den mal drängenden, mal verhaltenen und dann schwelgerisch sich aussingenden Tonfall Zandonais. Christoph Loy ist der Regisseur der zarten Nuance, der sanften Steigerung, aus der sich gebändigtes Feuer langsam in lodernde Glut und ich-vergessene Leidenschaft entlädt. Sara Jakubiak kann ihre entspannt schwingenden Linien dazu vibrieren lassen – und so wird der erste Eintritt Paolos zum sofortigen „Er ist es“, und der die Prokura-Heirat offiziell besiegelnde Kuss signalisiert in seiner hingebungsvollen Innigkeit bereits alles.
Zu Loys analytisch-differenzierter Deutung Francescas gehört auch, dass Tetelmans Paolo den ersten Gesprächen mit Francesca noch schön verhaltenen Tenorglanz verleiht. Gesangsfreunde können seine fesselnden Übergänge vom „lirico“ zum „eroico“ bestaunen. Später strömen über seine drängende Glut hinaus dann Sopran- und Tenor-Phrasen in leidenschaftlich strahlendem Duettieren zusammen. Schließlich ein überwältigendes Finale, das Francesca und Paolo neben die anderen unsterblichen Liebespaare eintreten lässt ins weltvergessene All-Einssein.
Wolf-Dieter Peter