Daniel Kidane

Foreign Tongues for string quartet

Partitur und Stimmen

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott, London
erschienen in: das Orchester 3/2025 , Seite 71

Mit seinem 2015 entstandenen Werk Foreign Tongues setzt sich der britische Komponist Daniel Kidane (*1986) ein ehrgeiziges Ziel, konzipiert er das einsätzige Stück doch eigenen Worten zufolge als „eine andere Art, die Standardbesetzung des Streichquartetts zu betrachten“. Kon­kret äußert sich dieser Anspruch darin, dass Kidane die hierarchische Ordnung des vierstimmigen Tonsatzes hinterfragt, indem er von Anfang an den Violoncellopart in Opposition zu den übrigen drei Streichern setzt. Während der ersten neun Takte, die als harmonische wie satztechnische Keimzelle der knapp 14-minütigen Komposition fungieren, führt der Komponist auf hörend leicht nachvollziehbare Weise in das dabei vorherrschende Prinzip ein: Während die drei hohen Streicher durch Pausen voneinander getrennte, zwischen verschiedenen Klangfarben changierende Akkordblöcke im rhythmischen Unisono vortragen, setzt das Violoncello hoquetusartig in die Leerstellen zwischen diesen Ereignissen eine Abfolge von Simultanintervallen in statischer Klanglichkeit, bevor beide miteinander kontrastierenden Ereignisschichten kurzzeitig in einem gemeinsamen Akkord zusammenfinden.
In einer Art freien Variationsform setzt sich Kidane im Anschluss daran mit den harmonischen und strukturellen Eigenschaften dieses Werkbeginns auseinander und entwickelt sie in Richtung unterschiedlicher expressiver wie kommunikativer Situationen weiter. Sieht man einmal von vereinzelten gemeinsam vorgetragenen Akkordpassagen ab, verbleibt der Violoncellopart meist in der Rolle des „Anderen“ und sticht mit individuellem Tonfall klanglich aus dem Ensemble heraus. Diese Sonderstellung bleibt jedoch nicht folgenlos und wirkt sich deutlich auf die übrigen Stimmen und das Verhältnis aller Beteiligten zueinander aus. Dementsprechend regiert über weite Strecken hinweg ein dichter kontrapunktischer Satz, der von wechselnden Stimmengruppierungen und vielfachen solistischen Interventionen durchzogen ist, unterschiedliche Arten des Miteinanders kombiniert und immer wieder auch gegenseitige Einflussnahmen zwischen dem Violoncello und den einzelnen Streicherstimmen in den Vordergrund rückt.
Zentrale Aufgabenstellung jeder interpretatorischen Auseinandersetzung mit Foreign Tongues dürfte es sein, den von vielfachen Taktwechseln, rhythmischen Vertracktheiten sowie Dynamik- und Ausdruckskontrasten geprägten musikalischen Verlauf in klanglicher Hinsicht möglichst plastisch zu gestalten. Dies setzt zwar ein hohes Niveau des Zusammenspiels und ein entsprechend versiertes Ensemble voraus; weil Kidane aber an keiner Stelle über die gängigen Spielweisen hinausgeht, eignet sich das Stück auch sehr gut für solche Quartette, die im Umgang mit zeitgenössischer Musik und erweiterten Streichertechniken wenig Erfahrung haben. Eine Bereicherung für die Konzertprogramme ist das Werk allemal.
Stefan Drees