Ondřej Adámek

Follow me/Where are You?

Isabelle Faust (Violine), Magdalena Kožená (Mezzosopran), Symphonie­orchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Peter Rundel/Simon Rattle

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: BR Klassik
erschienen in: das Orchester 7-8/2022 , Seite 70

Der tschechische Komponist und Dirigent Ondřej Adámek wurde als vielfach ausgezeichneter Musiker bislang vor allem in Avantgarde-Kreisen bekannt. 1979 in Prag geboren, studierte er an der dortigen Musikakademie bei Marek Kopelent sowie in Paris, hielt sich u.a. in Nairobi, Kyoto und Madrid auf, ließ sich 2010 in Berlin nieder und lebte 2014/15 als Stipendiat der Académie de France in der Villa Medici in Rom. Alle diese Stationen seines Lebens scheinen sich in seiner Musik niederzuschlagen, die sich weit dem unerschöpflich „Ganzen“ der Musik öffnet: Er stützt sich auf die traditionelle „klassische“ Musik ebenso wie auf Musik aus Bali, Neukaledonien, Japan oder Andalusien und entwickelt mit reicher Klangfantasie eigene Instrumente oder spezielle Spielweisen der traditionellen. Zudem hat er bekannt, sich von Bildern, Texten, Geschichten oder dramaturgischen Abläufen inspirieren zu lassen.
Alle diese Quellen seiner musikalischen Fantasie vermischen sich nun freilich nicht zu einem amorphen, willkürlich wirkenden Klanggebräu, sondern werden mit stringenten Formentwicklungen auskomponiert, die fast schon im traditionellen Sinne überschaubar und unmittelbar nachvollziehbar bleiben. Das liegt vor allem an der mitunter drastischen „Körperlichkeit“ oder Handlichkeit der Klänge und Schallereignisse, die er ins Werk setzt.
Paradigmatisch für diese Haltung wirken die vom Komponisten zusammengestellten Texte in Where Are You? für Mezzosopran und Orchester, einer Kantate, welche alle stimmlichen Möglichkeiten der blendend-souverän intonierenden Magdalena Kožená herausfordert, aber auch strapaziert. Die Texte entnahm Adámek u.a. der Bibel, dem Aramäischen, der Autobiografie der heiligen Teresa von Ávila, einem traditionellen Oster­gesang aus Sevilla oder einem mährischen Volkslied. Das Werk, so erläuterte Adámek seine programmatischen Intentionen, „fragt nach dem Ort des Göttlichen, kann ihn aber nicht finden“.
Die Art, wie Adámek solche vielfältigen Materialien musikalisch zu einer zwanglos wirkenden Einheit verschweißt, erweist sich mit dem Beginn des Violinkonzertes Follow me, das mit der fantastisch-selbstlos spielenden Isabelle Faust gewissermaßen seine „endgültige“ Interpretin gefunden hat: Die Solovioline eröffnet das Konzert mit einem sehr weiten, oftmals wiederholten Vibrato in tiefer Lage, welches dann vom Orchester aufgegriffen, sukzessiv gesteigert und gleichsam durchgeführt wird. Auf diese Weise entsteht ein deutlich strukturierter musikalischer Ablauf, der eine ganz eigene, ungewöhnliche Klanglichkeit ausbildet.
Von beiden Werken werden hier die Uraufführungen veröffentlicht, die mit dem fabelhaft aufspielenden Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Peter Rundel bzw. Sir Simon Rattle kaum zu übertreffen sein dürften.
Giselher Schubert