Luciano Berio, Xavier Montsalvatge und Manuel de Falla

Folk Songs

Catriona Morison (Mezzosopran), Symphoniker Hamburg, Ltg. Sylvain Cambreling

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Symphoniker Hamburg
erschienen in: das Orchester 07-08/2021 , Seite 74

„Es ist die Welt, die aus den Werken dieser CD singt. Eine Welt, die uns nah ist.“ Mit diesen Worten wird der Hörer mit auf die Reise
genommen: Ihm begegnen Geschichten, die das Leben schreibt, Herzschmerz liebender Menschen, blasse Kindheitserinnerungen, rauschende Naturphänomene und mitreißende Tänze – so abwechslungsreich, wie das Leben eben sein kann.
Vermeintlich schlicht daherkommende Volkslieder werden zu kleinen Dramen, rhythmischen Analysen, furiosen Tänzen, experimentell anmutenden Geschichten, wunderbar transparent musiziert und hervorragend artikuliert von Catriona Morison mit den Symphonikern Hamburg unter der Leitung von Sylvain Cambreling. Das Orchester kann vor allem in den Werken Manuel de Fallas seine orchestrale Farbvielfalt zeigen. Das warme und zugleich klare und in der Tiefe herrlich greifende Timbre der Mezzosopranistin entführt den Hörer mühelos in die verschiedenen Geschichten. Da ist es fast schon egal, ob die Lieder auf Englisch, Italienisch, Französisch oder gar in einer Art aserbaidschanischen Fantasiesprache (Berios Azerbaijan love song ist eine rein phonetische Transkription einer Schallplattenaufnahme durch Cathy Berberian) erklingen und man unter Umständen nicht alles versteht.
Vielleicht ist das mit dem Verständnis sogar besser so, da einige Lieder – wie man es hierzulande auch aus deutschen Volksliedversen kennt – sexistische oder rassistische Zeilen beinhalten, die ich hier nicht übersetzt abgedruckt lesen mag. Im Programmheft wird zwar aufgegriffen, dass einige Textzeilen „derbsexistisch“ seien, aber der einzige Kommentar dazu verharmlost diese dann auch zugleich wieder: „Die Lieder, das war schon immer so, erzählen uns von Allgemeingültigem, von Menschlichem – und sei es noch so dunkel.“
Ja, einige Zeilen sind abgrundtief dunkel, aber umso wichtiger wäre es, sie „ans Licht zu bringen“ und darüber zu diskutieren! Das
gesprochene – und auch gesungene Wort – steht nun mal im Raum, und eine intensive Auseinandersetzung im Rahmen einer CD-Produktion wäre ein Aufhänger für eine kritische Debatte. Dass ein CD-Booklet das nicht umfänglich leisten kann, ist verständlich – ein bisschen mehr Sensibilität, besonders wenn man (fast) alle Texte auch auf Deutsch abdruckt (Canto negro wurde nicht übersetzt), wäre jedoch angebracht und ein wichtiges Zeichen. Vielleicht auch ein Anlass, das Format CD-Booklet zu überdenken.
Zurück zum Herzen der CD, zur Musik: eine wunderbare Sammlung an Klangfarben aus drei verschiedenen Jahrhunderten, die im Heute verschmelzen. Die CD erfüllt musikalisch eine Sehnsucht, die kaum jemals so groß war wie aktuell: nach einer Welt, die uns nah ist. „Wer singt, lebt.“
Eva-Maria Kösters