Enjott Schneider
Flute Stories
Łukasz Długosz/ Agata Kielar- Długosz (Querflöte), Silesian Chamber Orchestra, Silesian Philharmonic Symphony Orchestra, Ltg. Mirosław Jacek Błaszczyk
Wer sagt denn, dass im 21. Jahrhundert komponierte Musik experimentell, dissonant, zerrissen oder sonst wie ungewöhnlich klingen muss? Diese Erwartungshaltung wurde Gemeingut. Dagegen verstößt Enjott Schneider mit melodiösen, ja sogar ohrschmeichlerischen Stücken. Outet sich da ein Ewig-Gestriger? Eher nicht. Die drei Stücke auf der CD Flute Stories haben Charakter und werden von den schlesischen Orchestern sowie Łukasz Długosz und im ersten Stück zusätzlich Agata Kielar-Długosz (beide Querflöte) mit Empathie interpretiert. Die „Stories“ haben Bezug zum Arbeitsfeld des einstigen Professors für Musiktheorie und Komposition an der Münchner Hochschule für Musik und Theater: Enjott Schneider hat, anfangs unter dem Namen Norbert J. Schneider, rund 600 Filmmusikwerke – unter anderem für Joseph Vilsmaier – sowie Opern, Orchesterwerke, Kammermusik, Orgelwerke und geistliche Musik komponiert.
Filmmusik muss mit bedeutungsstarken Mustern das Geschehen auf der Leinwand charakterisieren, untermalen, betonen oder konterkarieren. Sie setzt fort, was in der Affektenlehre der Antike und des Barock entwickelt wurde und – etwas fortgeschrittener – auch die Sinfonischen Dichtungen der Romantik und die Programmmusik bestimmte: Klangmalerische Mittel charakteri-sieren Außermusikalisches. Auf Schneiders CD sind dies Wasser, Bäume und die Impressionen aus dem Leben einer chinesischen Konkubine des Kaisers Xuanzong (685–762).
Das fünfsätzige Water – Element of Infinity beginn mit zartem Geplätscher zweier Flöten – ein Quell-bach. Diesen weichen Bewegungen stehen kraftvollere Orchesterklänge gegenüber: Wasser hat auch Volumen und Kraft. Es springt über Steine, glitzert in einem ruhigen See, wird verführerisch, fremd und letztendlich zu einem brachial tosenden Strom, dem die Flöten Gischtspritzer aufsetzen.
Bei den vier Sätzen von Worlds of Tree greift Schneider auf den keltischen Baumkalender zurück. Hier symbolisieren hohe, dezent schwingende Streicher- und Flötentöne Anmut und schlanke Gestalt der Birke. Fülliger und ausladender charakterisiert Schneider den Apfelbaum und mit länger wehenden Bögen und getragenen Flötenmelodien die Kastanie. Düstere und zirpende Streicher, abbrechende Flötentöne und tanzartige Passagen erinnern daran, dass die Hainbuche einst mit Hexerei in Verbindung gebracht wurde.
Bei den Pictures of Yang Guifei wandert Schneider ohne Umschweife in eine Atmosphäre zwischen Marschtritt und heroischen Mustern: das Umfeld des chinesischen Kaisers Xuanzong, in das seine Konkubine Yang Guifei Lockrufe sendet. Ein mit Asia-Exotik angereicherter Tanzsatz und ein herrschaftliche Langeweile symbolisierender dritter Satz stehen für das Leben am Hof. Yang Guifei endete tragisch: Der König wurde verjagt, und sie erhängte sich. Entsprechend hektisch fällt der anfangs mit Paukenschlägen gewürzte Schlusssatz aus. Eine sanfte Flötenmelodie und Geigenzirpen beschließen ihn. Jetzt fehlt nur noch das Bild zum Film.
Werner Stiefele