Jacques Ibert
Flute Concerto/ Escales/ Symphonie Marine/ Suite Symphonique/ Louisville-Concert
Helen Dabringhaus (Flöte), Brandenburger Symphoniker, Ltg. Peter Gülke
Nach den Einspielungen von Brahms’ 1. Klavierkonzert und Schuberts „Großer“ C-Dur-Symphonie mag die Programmentscheidung für die Aufnahmen vom Januar 2020 überraschen. Zugleich wirken diese zwischen den Repertoire-Erweiterungen der Brandenburger Symphoniker mit Gerd Natschinskis Musical Mein Freund Bunbury und den spontanen Corona-Produktionen von Telemanns Pimpinone und Mozarts Bastien und Bastienne wie ein weiterer systematischer Vorstoß zu Neuem.
Diese CD macht nicht nur deshalb große Freude, weil die so unbeschwert und weniger provokativ als heiter zwischen den Zeiten stehende Musik des „modernen“ Jacques Ibert signifikant ist für die Clarté jener Sphären der französischen Kultur, die sich von Wagnérisme und Symbolismus in bewusstem Abstand hielten. Mehr als einmal denkt man bei der von Peter Gülke mit tatsächlich lockerer und nicht nur kalkuliert leichter Hand geleiteten Werken an das filigrane Kolorit der Sinfonischen Dichtungen von Camille Saint-Saëns oder der Operetten Reynaldo Hahns und des späten André Messager. Wohl auch deshalb, weil die Brandenburger Symphoniker sich nicht um Imitationen des Klangs ihrer französischen Orchesterkollegen kümmern und ihrer bestens überzeugenden Vorstellung von Leichtigkeit vertrauen. So hört man in Iberts die Laufstege und Trottoirs von Paris ansteuernder Suite Symphonique anstelle von Smog und anderen urbanen Aromen die auffrischende Brise eines Frühlings- oder Spätsommertags. Wenn Ibert einmal doch mit fröhlicher Aufgewecktheit zu nahe an Instrumentalmischungen der deutschen Romantik kommen sollte, nehmen das die Musiker einfach nicht zur Kenntnis.
Etwas weniger leicht, aber noch immer duftig und fließend gelingt das Concerto pour flute et orchestre. Helen Dabringhaus besitzt nicht den Ehrgeiz, ständig mit Volumen ihr Instrument in Führung zu bringen und hat genau das erforderliche Stilgefühl. Es gibt nur wenige CDs mit anspruchsvoller Klassik, die man ohne die Komponisten zu kränken oder die Konversation zu beschweren während eines geselligen Abendessens auflegen kann. Dieses Ibert-Programm wäre eine von ihnen.
Schön ist überdies, dass die Stücke nicht in der Reihe ihres Entstehens angeordnet sind. So wird einerseits deutlich, dass Iberts ästhetische Positionierung schon in Nähe der Gruppe Les Six und später in seinen Reifejahren angesichts der drastischen Zäsuren des 20. Jahrhunderts erstaunlich kontinuierlich war. Andererseits wirkt diese Verhaftung in der Tonalität ohne Verbissenheit einfach beglückend.
Daran haben die Brandenburger Symphoniker einen beträchtlichen Anteil, weil sie Gülke vertrauen und dieser – nur ungeschickt kaschiert durch die Sachlichkeit seines Booklet-Aufsatzes – eine große Begeisterung für die im besten Sinne eklektizistische Musik hat, die sich mit einer solchen Lesart für Ballettkompanien bestens als Alternative zu Délibes’ Coppélia empfehlen ließe. Auch das Louisville-Concert, die Symphonie Marine und Escales gelingen mit vergleichbar hoher Qualität.
Roland Dippel