Werke von Adolfs Skulte, Jānis Ivanovs, Alfrēds Kalniņš und anderen
Flowering Jasmine
Liepāja Symphony Orchestra, Ltg. Guntis Kuzma
Es ist ein Ausflug ins Unbekannte: Sinfonische Musik des 20. Jahrhunderts aus Lettland von Komponisten, die zwar zu den wichtigsten ihres Landes gehören, aber in Deutschland unbekannt sind. Bei der Nennung ihrer Namen stößt man unwillkürlich auch auf Eigenheiten der lettischen Sprache: zum Beispiel auf die Tatsache, dass Vornamen hier eine deklinierbare Endung erhalten – bei Männern meistens ein „s“. So wird aus Alfred dann Alfreds und Erik heißt Eriks. Die Geschichte Lettlands ist geprägt von einer langen Zeit der Besatzung, die erst nach dem Fall der Sowjetunion im Jahr 1991 zu Ende war. Nicht von ungefähr schaut man in dem baltischen Land mit großem Argwohn auf die furchtbaren Kriegsereignisse in der Ukraine.
Wer sich ein wenig zur Musik in Lettland beliest, trifft schnell auf eine ausgeprägte Kultur der Volksmusik, des Tanzes und der Chormusik. Ohne tiefere Kenntnis der lettischen Kunstmusik lässt sich schwer sagen, welche eigenen Ansätze zeitgenössischen Komponierens auf volksmusikalischer Grundlage es gibt. Die vorliegenden neun Kompositionen, entstanden zwischen 1906 und 2007, bieten keine Antwort auf diese Frage, denn volksmusikalische Elemente sind in ihnen kaum herauszuhören – ja sie pflegen fast durchgehend einen neoromantisch-emphatischen Stil, in dem sich verschiedene Traditionen wiederfinden. Bemerkenswert, dass die meisten Komponisten ihre Ausbildung am Konservatorium in Riga genossen haben.
Aufgenommen wurde diese CD vom Sinfonieorchester der westlettischen Hafenstadt Liepāja (auf Deutsch: Libau), die mit ihren 75000 Einwohnern die drittgrößte Stadt des Landes ist.
Die 1987 entstandene Ouvertüre von Adolfs Skulte (1909-2000) erinnert in ihrer Bildhaftigkeit an Hollywood-Filmmusik. Skulte ist (laut Wikipedia) bekannt als Vertreter der musikalischen Ausprägung des Sozialistischen Realismus. Das Orchesterstück Regenbogen von Jānis Ivanovs (1939) hingegen ist stark von Debussy und Wagner beeinflusst – wobei der 1983 verstorbene Komponist sehr unterschiedliche Stilepochen durchlebte. Das älteste Stück ist In Staburag (1906) von Alfrēds Kalniņš (1879-1951), ein Werk im Stil der Nationalromantik. Entrückte, neoromantische Soli von Geige und Vibrafon hört man in Flowering Jasmin von Georgs Pelecis (*1947). Meditative Stimmung zu fasslicher Harmonik schafft der Trompeter und Komponist Jānis Porietis (*1953), lyrisch schwelgt eine Ballade von Jānis Ķepītis (1908-1989), bei Adolfs Abele (1889-1967) ist man Mahler ganz nahe, bei dem jungen Ēriks Ešenvalds (*1977) sehr stimmungsvoll dem frühen Expressionismus. Nur Agris Engelmanis (*1936) pflegt in seiner Illustration in Sepia einen rhythmisch betonten, volksmusikalisch beeinflussten Stil.
Insgesamt bietet die Aufnahme also trotz unbekannter Namen und Werke nicht wirklich viel stilistische Abwechslung und eher traditionelle Klänge. Sicher hat Lettland da noch anderes zu bieten. Der Text im Booklet ist viel zu klein und schlecht lesbar gedruckt.
Johannes Killyen