Werke von Amadeus Mozart und Wim Henderickx
Flow
Annelien Van Wauwe (Bassklarinette), NDR Radiophilharmonie, Ltg. Andrew Manze
„Yoga verhilft mir, Ruhe zu finden und auch Nicht-Geplantes zuzulassen – für mich sind Musik und Yoga die zwei Säulen meines Lebens als Musikerin und Lehrerin“ (Annelien Van Wauwe, FB). Das ist gut so, denn Yoga ist zumeist hilfreich. Nur: Es gibt viele Stufen des Yoga – von welcher die Musikerin hier spricht, ist nicht klar erkennbar. Wohl von dem in unzähligen Studios praktizierten Hatha-Yoga. Wim Henderickx’ viersätzige Komposition für Bassklarinette, Elektronik und Orchester beinhaltet durchaus interessante Ansatzpunkte, doch wird hier Patanjalis Yoga-Lehre, die als Vorlage angeführt wird, recht beliebig interpretiert. Wie Moses mit den 10 Geboten erklärt auch Patanjali in seinem achtgliedrigen Pfad des Yoga in den ersten beiden Stufen anhand von Yama and Niyama die Regeln für ein geistiges Leben.
Den Aufbau und die Energie eines klassischen indischen Ragas kann man in dieser Komposition nicht erkennen. Hauptmerkmal desselben ist immer eine durchschwingende Frequenz, in verschiedene Tempi eingebunden, die überhöhend auf Geist und Psyche wirken können. Wim Henderickx kreiert dagegen vier gänzlich unterschiedliche Musikstücke, die wohl für gedankliche Assoziationen bezüglich Pranayama, Dhyana, Dharana und Samadhi stehen, aber nicht wirklich auf tief erlebten Erfahrungen basieren, wenngleich er sich seit langem mit der vedischen Philosophie befasst und eine Mehrzahl von Kompositionen mit diesem Thema veröffentlicht hat. Dennoch ist Sutra, wenn man vom vielleicht irreführenden Titel absieht, durchaus interessant und ein wichtiger Beitrag zur zeitgenössischen Musik. Hervorragend interpretiert zudem von der NDR Radiophilharmonie unter der Leitung von Andrew Manze. Annelien Van Wauwe brilliert in dem für sie komponierten Werk mit der bekannten solistischen Meisterschaft.
Als Einstieg wählte man Mozarts Klarinettenkonzert in A-Dur, KV 622, aus dem Jahr 1791. Hier könnte man als kleines Manko der Interpretation das Fehlen einer dominanteren Phrasierung auflisten. Der Auftaktsatz klingt etwas „weichgespült flauschig“ und wieso der Anfang oft wie zufällig erklingt, konnte sich mir noch nie erschließen, dennoch beweist die Solistin hier erneut ein tiefempfundenes Musizieren.
Warum nun „Flow“ als Titel? Im Hatha Yoga steht dieser Begriff für den Zustand des Fließens aus einer erhöhten Bewusstseinsebene heraus. Was – banal gesagt – in den guten alten Zeiten der europäischen Klassik durchaus Normalzustand gewesen sein soll. Hans von Bülows Ausspruch „Im Anfang war der Rhythmus“ gilt auch heute noch für Sänger und Instrumentalisten gleichermaßen. Rhythmische Energien sind die Grundlage jeglicher Musik, ganz gleich aus welcher Zeit und in welchem Umfeld resultierend. In Mozarts Musik ist dieser Rhythmus immer vorhanden, er floss aus seinem Lebenszentrum heraus.
Midou Grossmann