Werke von Antonín Dvořák, Ney Rosauro und Dietrich ­Zöllner

Flow of Music

Alexej Gerassimez (Perkussion), Deutsche Streicherphilharmonie, Ltg. Wolfgang Hentrich

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Genuin
erschienen in: das Orchester 11/2022 , Seite 68

Die Deutsche Streicherphilharmonie mit jungen, zwischen 11 und 20 Jahre alten Streicher:innen aus Musikschulen in ganz Deutschland hat unter Leitung von Wolfgang Hentrich ein schlechterdings vorzügliches Spielniveau erreicht. Sie verfügt über einen wohlabgestimmten, voll-sonoren und doch transparenten Tuttiklang, einen bestrickenden, ja bezwingenden Lyrismus im weich-bestimmten Ausspielen melodischer Linien, eine rhythmische Agilität, die beschwingt federt, und schließlich über eine spieltechnische Perfektion, die keine Wünsche offenlässt. Hinzu kommen in diesen Einspielungen auch noch eine wirkungsvoll fein abgestufte, planvolle dynamische Artikulation und eine sehr sensibel dem Dirigenten folgende Agogik ohne „Wackler“.
Man glaubt zu spüren, mit welch umsichtiger Geduld und nicht nachlassender Intensität ­Hentrich geprobt haben muss, und doch grundiert das Musizieren eine sich unmittelbar mitteilende, frische Spielfreude, die nichts Routiniertes oder mühsam Erarbeitetes kennt. Freilich kommen die hier eingespielten Werke dem vorbild­lichen interpretatorischen Engagement auch ideal entgegen. Es lässt sich kaum entscheiden, ob Dvořáks unverwüstliche, stimmungsvolle ­Serenade für Streicher op. 22, eine seiner melodiereichsten Arbeiten überhaupt, solches Musizieren entfesselt oder umgekehrt die erreichte Spielkultur des Orchesters dem Werk zu solch bezwingender Wirkung verhilft: Beides trifft wohl zu!
Mit dem Konzert für die ungewöhnliche Besetzung von Marimba und Streicher op. 12 (1986) des brasilianischen Komponisten Ney Rosauro (geb. 1952) machen die Musiker:innen mit einem Komponisten bekannt, der hier bislang weitgehend unbeachtet geblieben ist, und stellen mit der Marimba ein Soloinstrument vor, dem man kaum zutrauen mochte, konzertant-solistisch anspruchsvoll zu agieren. Freilich wird es von Rosauro, selbst ein Marimba-Spieler, klangvoll-virtuos gleichsam in Szene gesetzt. Und Alexej Gerassimez spielt seinen Solopart mit engagierter Verve und überzeugender Souveränität.
Dietrich Zöllner (geb. 1965) hat seine Komposition Poco Insanimus (2019) – etwa „etwas verrückt“ – sogar ausdrücklich für die Deutsche Streicherphilharmonie geschrieben. Das ist eine Musik gleichsam „nach Maß“ – und entsprechend verhilft das Orchester dem einsätzigen Werk zu einer wirklich überzeugenden Wirkung. Zöllner, der in Dresden auch Schulorchester leitet, passt denn auch seine Komposition lückenlos den Bedingungen des möglichst lustvollen Musizierens an. Anlass der Kompositionsentstehung waren Konzerte unter dem Motto „30 Jahre deutsche Wiedervereinigung“, und diesem Anlass entsprechend verwebt Zöllner in einem Reprisenteil unaufdringlich-subtil die Hymnen der BRD, der DDR und Europas; man möchte wünschen, dass auch in der Politik zu solch differenziertem harmonischen Kontrapunkt gefunden wird.
Giselher Schubert