Enno Poppe

Filz

Tabea Zimmermann (Viola), Ensemble Resonanz, Ltg. Enno Poppe

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 7399-2
erschienen in: das Orchester 11/2021 , Seite 81

Die Musik hebt mit einem sprachnah artikulierten Monolog der Solo-Viola an, zu dem sich nach und nach weitere Instrumentalstimmen gesellen. Ein Wechselspiel beginnt sich zu entfalten, bei dem solistische Impulse, Glissandi, Umspielungen oder Ausdruckshaltungen vom Ensemble aufgegriffen werden und in Haltetönen, Bewegungen oder Resonanzen ihre Fortsetzung finden, um von dort aus wiederum die Variabilität des Soloparts anzuregen. Ständig wandeln sich die resultierenden Gestalten innerhalb des instrumentalen Ereignishorizonts, wachsen feine Klangbahnen zu dickeren Klangsträngen heran, um gleich darauf wieder zu zerbröseln.
Als Solistin in Enno Poppes konzertierender Komposition Filz (2013/14) zeigt die Siemenspreisträgerin Tabea Zimmermann eindrücklich, wodurch sich ihr Bratschenspiel auszeichnet: Sensibel lotet sie die vielen vertrackten Nuancen des anspruchsvollen Soloparts aus, haucht feinen mikrointervallischen Verästelungen Leben ein oder verleiht den ins Geräuschhafte umkippenden Rauigkeiten eine geradezu plastische Wirkung. Die kommunikativen Prozesse, die sich hierbei über den Verlauf der Komposition hinweg zwischen Solistin und Orchester entfalten, bringen ständig Neues zu Tage, lassen bei artifiziellen, elektronisch anmutenden Linien ebenso aufhorchen wie beim zerbrechlich sich verlierenden Tonfall zu Beginn des dritten Satzes.
Während das unter Leitung des Komponisten agierende Ensemble Resonanz in Filz durch den Klang dreier Klarinetten angereichert ist, warten die beiden übrigen Werke mit unterschiedlich eingesetzten Streicherbesetzungen auf. Die kammermusikalischen Texturen der Komposition Stoff (2015/18) erweisen sich beispielsweise als Gefüge aus melodischen Bahnen von wechselnder Dichte: Aus dem neunköpfigen Ensemble ragen solistische Einsätze heraus, die einander zu umschlingen beginnen und aufgrund ihrer Agilität einen ganzen Mikrokosmos an Schattierungen hervorbringen. Immer wieder vereinigt Poppe das Ensemble hier im Eindruck wachsender Anspannung, indem es mit Registerlagen und Harmonik eine Art Schraubenbewegung noch oben vollzieht – ein Prozess, dessen Intensität am Ende kollabiert und in trockenen Pizzicati zerfleddert.
Wald für vier Streichquartette (2009/10) wiederum lebt vom Gegeneinander und der Vervielfältigung rascher oder ruhig gezogener Glissandospuren: Ausgehend von einer vier individuelle Streichquartette kombinierenden Disposition finden die Ensemblemitglieder zu einem lebendigen, atmenden Organismus voller irisierender Farbflächen zusammen, der sich, angeregt durch Akzentuierung einzelner Impulse, mitunter zu massiven Verdichtungen und Tonraumverschiebungen hin entwickelt.
Dass man am Ende der 71-minütigen CD fast atemlos zurückbleibt, aber dennoch gleich alles noch einmal von vorne anhören möchte, um dem musikalischen Geschehen etwas genauer auf die Spur zu kommen, ist nur eines der vielen Komplimente, die man dieser außergewöhnlichen Produktion machen kann.
Stefan Drees