Ludwig van Beethoven

Fidelio

Lise Davidsen (Sopran), Christian Elsner (Tenor), Georg Zeppenfeld (Bass), Christina Landshamer (Sopran), Johannes Martin Kränzle (Bariton), Günther Groissböck (Bassbariton), Cornel Frey (Tenor), Dresdner Philharmonie, Ltg. Marek Janowski

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Pentatone
erschienen in: das Orchester 1/2022 , Seite 73

Dramatisch auf Zack, dynamisch und jugendlich klingt diese Neuaufnahme von Fidelio aus dem wegen der Pandemie um ein Jahr erweiterten Jubiläumspaket zum 250. Geburtstag ihres Komponisten. Marek Janowski gestaltet mit der Dresdner Philharmonie die Genre-Ebenen gut strukturierend und kontrastreich. Das Jubelfinale funktioniert ohne ausladende Pathos-Dröhnung. Die von Katharina Wagner mit Daniel Weber planvoll, aber nicht zu stark eingekürzten Dialoge schaffen stimmige Zäsuren zwischen den Musiknummern.
Janowski agiert mit der Dresdner Philharmonie nach blitzgescheiter alter Schule: Er bekennt sich zur in anderen jüngeren Aufnahmen verpönten Singspielhaltung am Beginn und nimmt alle Figuren beim Wort – also geben Christina Landshamer als Marzelline und Cornel Frey als Jaquino ein leichteres Paar mit feiner Fülle. Christian Elsner singt die Erschöpfung des Gefangenen Florestan sinnfällig belegt und trumpft später auf. Bis zum Jubelduett mit Leonore taktet er genau ein, wo er charakterisiert oder brilliert.
Spannend gerät die Besetzung der drei tiefen Männerstimmen, weil jeder der Interpreten mühelos auch die anderen Partien ausfüllen könnte. In dieser Konstellation klingt Johannes Martin Kränzle als Bösewicht Pizarro etwas trocken, als sei die verbrecherische Energie für Pizarro eine Bürde wie für Florestan die Mangelerscheinungen durch Finsternis, Hunger und Durst. Günther Groissböck bündelt seine prächtigen Stimmmittel derart, dass in dem kurzen Part die rettende Instanz Don Fernandos recht auftrumpfend gerät. Georg Zeppenfeld gestaltet den vorteilsorientierten Kerkermeister Rocco mit klarer und konditionierter Souveränität wie seinen imponierenden Sachs in den Meistersingern. Insgesamt nutzt das Ensemble Janowskis unmerkbar raffinierte Tempi-Angebote optimal. Weder Orchester noch Stimmen pumpen überhitzte Luft in den Spielablauf. Gerade deshalb gerät das Drama spannend und plastisch.
Die im Traum von Florestan als „Engel“ bezeichnete Gattin Leonore wächst zum respektheischenden Übermenschen. Schon den Quartettsatz „Mir ist so wunderbar“ durchfluten Lise Davidsens Power- und Goldtöne. Da wird unmissverständlich deutlich, dass ein Wesen aus einer höheren Welt agiert und sich bei irdischer Bodenhaftung keineswegs die Flügel verbrennen lässt. Davidsen gestaltet die zur utopischen Symbolgestalt erhobene Retterin wie eine im Kulturpalast Dresden gelandete Freiheitsstatue – groß bis großartig, unnahbar für den Rest des Ensembles und Beethovens Noten virtuos feiernd. Davidsen spendet vokalen und manchmal sogar in leisere Regionen zurückgenommenen Glanz. Da verblasst sogar der klangschön mit den Männern des MDR-Rundfunkchors erweiterte Sächsische Staatsopernchor, als verkörpere er staunende Massen bei einer Wunderheilung.
Roland Dippel