Stiftung Händel-Haus (Hg.)

Feuerwerk und Halleluja

100 Jahre Händel-Festspiele in Halle

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Henschel
erschienen in: das Orchester 6/2022 , Seite 66

Clemens Birnbaum gibt die Marschrichtung vor: „Die Händel-Festspiele spiegeln die Händel-Bilder ihrer Zeit wider. Auch hier gibt es Kontinuitäten und Diskontinuitäten, die im Zusammenhang mit der Indienstnahme der Musik Händels durch das jeweilige politische System stehen.“ Was der Festspielintendant zum Auftakt resümierend schreibt, wird im Folgenden sozusagen minutiös und sehr lesenswert aufgefächert. Dabei wendet sich das Jubiläumsbuch, wie ja auch die Hallenser Festspiele selbst, an Fans und Fachleute gleichermaßen.
Gleich in der Broschur-Klappe gibt es das titelgebende Feuerwerk – hier gezeichnet, 1719 in Dresden und 1739 in Paris wahrhaftig gezündet. Nach einem Gespräch mit der langjährigen Intendantin Hanna John über die Gratwanderung zwischen sozialistischer Kulturpolitik und internationalem Flair steigt das Buch thematisch mit der „zeitlosen Vergangenheit in der Gegenwart“ ein, Folkert Uhde löst dies für Händels Il Trionfo exemplarisch auf. Die vielen Händel-Bilder, von denen schon Birnbaum sprach, fächert Arnold Jakobshagen zwischen Legendenbildung und Erinnerungskultur, „Händel-Industrie“ in England und „Händel-Ideologie“ in Deutschland erhaben und populär spannend auf.
Zwischen diese Fach- und Sachaufsätze sind immer wieder Fotos und Erinnerungen an „magische Momente“ gestreut. Die allerdings kommen ausschließlich von an den Festspielen Beteiligten – ein paar Publikums- und Kritikerstimmen hätten nicht geschadet. Auch ein Blick zur Göttinger Konkurrenz hätte dem Jubelbuch keinen Zacken aus der Krone geschlagen, es bleibt aber beim Grußwort des dortigen Intendanten.
Händel in Halle vor den ersten Hallenser Festspielen im Jahr 1922, historische Aufführungspraxis und Händel-Einspielungen in der DDR sind weitere Themenfelder des Bands. Knapp, aber klar werden die ideologischen Vereinnahmungen des Komponisten ausgewiesen. Juliane Riepe zeigt, wie die Reichs-
musikkammer 1935 die „hallischen Händel-Tage“ für ihre politischen Zwecke nutzte, auf Gedenktage „volkstümliche Händel-Feiern“ folgen ließ und wie jüdische und christliche Motive in dessen Werken bestenfalls totgeschwiegen wurden.
Händels Orlando gibt es gleich doppelt: als „Drahtpuppendramatik“ von vor 100 Jahren und im interessanten Vergleich der Inszenierungen von 1961, 1993 und 2010. Karin Zauft beginnt bei „offensichtlicher Unentschiedenheit“ zwischen Werktreue und freiem Umgang und endet bei sensiblen Reaktionen des Musiktheaters auf aktuelle Entwicklungen. Selbstlob ist immer inklusive, wenn Veranstalter:innen ihr Jubiläumsbuch selbst edieren, hält sich hier aber in Grenzen. Dafür findet sich im aufwendig und ansprechend gestalteten Band vieles für Händel-Verehrer und solche, die es werden wollen.
Fast zum Schluss hält dann noch der Countertenor Einzug in Halle. Rat und Auftrag der Gesangspädagogin Marianne Fischer-Kupfer an Jochen Kowalski: „Dein Wagner heißt jetzt Händel.“
Ute Grundmann