Oliver Buslau

Feuer im Elysium

Kriminalroman

Rubrik: Buch
Verlag/Label: Emons
erschienen in: das Orchester 07-08/2020 , Seite 62

Ein Buch anlässlich des Beethoven- Jahres in den Zeiten von Corona gewinnt eine außergewöhnliche Bedeutung: Es kann vollumfänglich erfahren werden und eignet sich ideal in seiner Rezeptionsform des zurückgezogenen Lesens im Lockdown. Umso mehr, als es sich bei dem vorliegenden Werk um einen veritablen Schmöker handelt, der nicht trocken historische Fakten um den Komponisten aneinanderreiht, stattdessen durchaus historisch belegte Personen und Ereignisse mit fiktiven Plots übereinander lagert. Klug gewählt ist die Perspektive des – erfundenen – Sebastian Reiser, der als dilettierender Bratschist nach Wien in die politischen Turbulenzen zwischen dem Metternich-Regime und den, in folge des Wiener Kongresses, entstandenen studentischen – damals fortschrittlichen – Burschenschaften gerät. Beethoven ist dadurch nicht die wirkliche Hauptperson der Geschichte, wohl aber des Zeitalters, das er durch sein Monumentalwerk der 9. Symphonie nicht nur musikalisch prägte. Gerade diese perspektivische Entfernung schafft die Möglichkeit, die ganze Wucht und Innovation des musikalischen Denkens auferstehen zu lassen, das eben nicht nur die Musik beflügelte, sondern vielen Zeitgenossen als Klang einer anderen, besseren Welt erschien. Man mag darüber streiten, ob es sinnvoll ist, Historisches mit Fiktivem auf eine Art zu verweben, dass es zu ungerechtfertigten Betrachtungen kommen mag, wie dies einst dem Film Amadeus von Milos Forman vorgeworfen wurde. Davor aber hat sich Buslau einerseits geschützt, indem er in einem aufschlussreichen Nachwort seine Quellen und Fiktionen offen legt; andererseits erscheint es interessant, entlang historischer Fakten, die niemals die gesamte Wirklichkeit widerspiegeln können, Inhalte weiterzudenken, begründete Spekulationen zu entwerfen, wie Buslau es etwa bezüglich Beethovens Taubheit beschreibt. Der Roman wartet mit zahlreichen und bestechenden Anklängen zu historischen und fiktiven Erzählungen auf; so findet sich etwa eine Episode in der tatsächlich bezeugten Ludlams-Höhle, die den skurrilen Erzählungen E.T. A. Hoffmann in nichts nachsteht, in der es spielerisch trunken um die Erfindung der 12-Ton-Musik geht als utopischer Ort einer klassenlosen Gesellschaft gleich berechtigter Individuen. Auch die Konstruktion einer Geheimgesellschaft, mit Namen „Die Unsichtbaren“, ist inspiriert von geschichtlichen Quellen, wie der Schrift Griepenkerls Die Beethovener. Auf diese Art bringt der Autor den Kontext um Beethovens Neunte zum Sprechen, ein Kontext, der die damalige Zeit ebenso bestimmte, wie er heute noch auratisch das Werk zum unvergleichlichen Symbol der Freiheit erhebt. Buslau, von Haus aus Musikwissenschaftler, geht dabei geistreich und gewissenhaft vor, was die Auswertung der Quellen und der einschlägigen Sekundärliteratur betrifft. Sehr genau wurde auf Grundlage von Beethovens Konversationsheften der Prozess von Proben und Erstaufführung erforscht. Sehr detailreich, aber stets zurückhaltend und dezent im sprachlichen Duktus, lässt der Autor die Zeit Beethovens lebensnah
auferstehen.

Steffen A. Schmidt