Marco Frei
Fatale „Denkpause“
Das Ringen um ein neues Konzerthaus für München missachtet die Wichtigkeit des Standortfaktors Kultur für eine Stadt
Wenn die Zeiten nicht rosig sind, droht der Rotstift zuerst in der Kunst und Kultur. Auch zu Corona-Zeiten ist das so, und es dürfte sich vorerst nicht ändern – zumal die Pandemie weder ausgestanden ist noch ihre Auswirkungen sich kalkulieren lassen. Der Ukraine-Krieg hat die Situation weiter verschärft. Den Kulturbetrieben droht Ungemach, selbst im reichen Bayern. Dabei ist längst bekannt, dass Kunst nicht nur kostet, sondern viel Geld in die Kassen spült und gesellschaftlichen Nutzen bringt.
Die Worte des bayerischen Ministerpräsidenten lösen ein Beben aus. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung äußert sich Markus Söder Ende März zum geplanten neuen Konzerthaus im Werksviertel hinter dem Ostbahnhof in München. „Ich finde: Wir sollten diesbezüglich innehalten und uns selbst eine Denkpause geben“, sagt er darin. Denkpause? Die gab es eigentlich schon immer. Seit einer gefühlten Ewigkeit, rund drei Jahrzehnte, wird um eine adäquate Heimat für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gerungen: samt Endlos-Standortsuche, Wettbewerben, Streitereien um die Finanzierung.
Und jetzt eine neuerliche „Denkpause“? Der Chef der bayerischen Christsozialen (CSU) zaubert hierfür viele Begründungen aus dem Hut. In den vergangenen zwei Jahren habe sich viel verändert. Der Staat sei durch die Corona- und die Ukraine-Krise massiv gefordert. „Wir können nicht alles unendlich finanzieren“, so Söder, zumal er mit deutlich höheren Baukosten rechne. Bis zu eine Milliarde Euro, so viel wie seinerzeit die Hamburger Elbphilharmonie, könnte der Bau kosten, besagen einige aktuelle Schätzungen. Ursprünglich waren maximal 400 Millionen Euro veranschlagt worden.
Populistische Denkpausen
Auf eine konkrete Summe möchte sich Söder zwar nicht festlegen, aber: „Die Baukosten steigen überall immens an“, sagt er in dem Interview. Die Milliarden-Schätzung hält er für „realistisch“. Gleichzeitig verweist Söder auf den Herkulessaal, die Isarphilharmonie und den Gasteig, die es in München ja bereits gebe. „Also vier Konzertsäle für zwei Orchester. Da ist die Frage naheliegend: Lohnt es sich nicht, besser eine gemeinsame Bespielung zu entwickeln?“ Jedenfalls müsse man bei derartigen Baukosten „multikomplex“ denken. Auch solche Pläne gab es bereits.
„Wie viele neue große Konzerttempel können wir uns leisten?“, fragt Söder rhetorisch. Schnell schiebt er nach, dass der Freistaat „das Geld stemmen“ können würde, „keine Frage“. Doch will es der Freistaat auch? Offenbar nicht.
Die „Denkpause“ Söders ist ein Denkzettel für die Kunst und Kultur, und zwar nicht nur in Bayern, sondern für ganz Deutschland. Zwar sind bislang nirgends Pläne durchgesickert, dass infolge der Pandemie Orchester und Theater geschlossen oder fusioniert werden. Wenn aber schon im „reichen Freistaat“ indirekt derartige Spielchen angestrengt werden, könnten andere diesem Beispiel folgen…
Lesen Sie weiter in Ausgabe 7–8/2022.