Niels Wilhelm Gade
Fantasiestücke op. 43
für Klarinette und Klavier, hg. von Nicolai Pfeffer, Fingersatz der Klavierstimme von Klaus Schilde, Stimmen
Die vier Fantasiestücke des dänischen Komponisten Niels W. Gade, der von 1817 bis1890 lebte, sind wohl die beliebtesten Stücke, mit denen Klarinettisten schon als Schüler in die Musikwelt der Romantik eingeführt werden. Zum 200. Geburtstag hat der Henle-Verlag die individuell gestalteten Stücke mit einer Ballade als Mittelpunkt in sein Verlagsprogramm aufgenommen und legt damit ein weiteres Werk der Klarinettenliteratur in einer fundierten Urtext-Ausgabe vor. Der Klarinettist Nicolai Pfeffer, der schon verschiedene andere Klarinetten-Ausgaben betreut hat, ist als Herausgeber für den Notentext verantwortlich.
Um alle editorischen Fragen klären zu können, bedarf es einer guten Quellenlage, die für die Fantasiestücke recht unkompliziert ist, da die Klavierpartitur und die separate Klarinettenstimme als Autograf existieren und auch die Erstausgabe von 1864 (Kistner, Leipzig) zur Verfügung steht. Wichtig ist auch eine Druckvorlage, in der die Komponisten zumeist noch Korrekturen oder weitere Eintragungen vorgenommen haben, die im Fall des op. 43 jedoch nicht mehr vorhanden ist. Somit bleibt als maßgebliche Quelle der Erstdruck, der auch der verbreiteten Hansen Edition der Fantasiestücke als Vorlage diente.
Interessant ist der Blick auf die Tempoangaben und Taktvorzeichnung des Autografs. Gade hat den ersten Satz zunächst nur mit „Larghetto“ angegeben und später „con moto“ hinzugefügt, der zweite und vierte Satz wird jetzt im 4/4‑Takt notiert, während das Autograf jeweils alla breve vorzeichnet, was dem Metrum mehr entspricht, wobei im letzten Satz „Allegro molto vivace“ ursprünglich der Zusatz „vivace“ fehlt. Ein Indiz für die Problematik von Tempoangaben! Der Herausgeber konnte – wie oft bei älteren Verlagsausgaben – viele Ungenauigkeiten bei der Setzung von Crescendo-Gabeln vermerken, die unkommentiert korrigiert wurden. Wenige Stecherfehler werden in den Bemerkungen erläutert.
Weitere Entscheidungen des Herausgebers beeinflussen die Interpretation maßgeblich: Im zweiten Satz werden alle uneinheitlichen Akzentuierungen des synkopierten ersten Klarinettenmotivs gemäß der Erstausgabe gelöscht. Warum im letzten Satz, dessen temperamentvoller Ausdruck durch den Zusatz con fuoco in der Klarinettenstimme unterstrichen wird, in Takt 21 nur forte steht und nicht das fz aus dem Autograf und dem Erstdruck übernommen wird, ist nicht nachvollziehbar. Ansonsten werden bei vielen Parallelstellen sinnvolle Angleichungen in der Artikulation und Ähnliches vorgenommen. Allerdings vermisst man im zweiten Satz in Takt 20 eine Angleichung bzw. einen Kommentar zum Bass des Klavierparts, der im Vergleich zur exakt gleichen Stelle in Takt 24 einen anderen Rhythmus des Tenortons f notiert.
Bei der Neuausgabe kann man auch über die exakte Setzung von Crescendo-Gabeln im Vergleich zur Erstausgabe (z.B. Klarinette im 4. Satz T. 93/95) diskutieren. Letztendlich entscheidet das musikalische Gespür über Details, für die der gewohnt qualitätvoll gedruckte Henle-Urtext mit seinen Anmerkungen sensibilisieren kann.
Heribert Haase