Joseph Joachim
Fantasie über Ungarische Motive (1850)/Fantasie über Irische [Schottische] Motive (1852)
für Violine und Orchester, Urtext
„Ich kann’s nicht unterlassen, wenigstens mit einigen Worten Ihnen zu sagen, welch einen unerhörten, beispiellosen Erfolg unser lieber Joseph gestern Abends im Philharmonischen Concert durch seinen Vortrag des Beethoven’schen Violin-Concertes gehabt hat. Ein Jubel des ganzen Publicums, eine einstimmige Liebe und Hochachtung aller Musiker, eine herzliche Zuneigung von Allen, die an der Musik aufrichtig theilnehmen und die schönsten Hoffnungen auf solch ein Talent bauen – das Alles sprach sich am gestrigen Abend aus.“
Es ist kein geringerer als Felix Mendelssohn Bartholdy, der mit diesen hinreißenden Worten in einem Brief aus dem Jahr 1844 das Londoner Debüt des erst 13-jährigen Joseph Joachim beschreibt. In den folgenden Jahrzehnten wurde Joachim zu einer der schillerndsten Persönlichkeiten des europäischen Musiklebens. Als Berater und Widmungsträger ist sein Name mit den großen Violinkonzerten des 19. Jahrhunderts fest verbunden. So haben ihm Johannes Brahms, Antonín Dvořák und Max Bruch jeweils ihre Konzerte zugedacht. Bis heute unumstritten ist seine Position als einer größten Virtuosen, welche die Musikgeschichte hervorgebracht hat.
Dabei wird leicht vergessen, dass Joseph Joachim neben seinem Virtuosendasein auch als Komponist gewirkt und insbesondere für sein Instrument, die Violine, ein interessantes Œuvre hinterlassen hat. Die in dem vorliegenden Notenband enthaltenen Fantasien, welche von Katharina Uhde erstmals herausgegeben wurden, lassen sich Joachims frühen Werken zuordnen. In dem sehr umfangreichen Vorwort gibt die Herausgeberin nicht nur allgemeine Informationen zu Joachims Rolle als Komponist, sondern stellt zugleich eine Reihe an wichtigen Details zu den beiden Werken vor: Sie weist unter anderem darauf hin, dass die als solche bezeichnete Irische Fantasie eigentlich auf zwei schottische Volkslieder zurückgeht und die Bezeichnung „irisch“ nachträglich von unbekannter Hand ergänzt wurde. Ferner enthält das Vorwort eine Vielzahl an aufführungspraktischen Hinweisen zu Griffen, Bogenführung und Agogik, was besonders vor dem Hintergrund von Joachims langjährigem Wirken als Violinpädagoge einen interessanten Aspekt darstellt.
Als einzige Quellen für die beiden Werke wurden die Autografe zugrunde gelegt, welche sich zusammen mit Philipp Spittas Nachlass im Bestand der Universitätsbibliothek Lodz befinden. Der Kkritische Bericht fällt angesichts dieser Konstellation erwartungsgemäß knapp aus. Thematisiert werden unter anderem Schwierigkeiten der Lesart, Angleichungen sowie Prinzipien der Übertragung.
Sowohl die im vorliegenden Band separat enthaltene Violinstimme als auch der Notensatz des von Martin Schelhaas angefertigten Klavierauszugs zeichnen sich durch ein angenehm proportioniertes und klares Schriftbild aus, sodass die vorliegende Erstausgabe auch alle Voraussetzungen für die praktische Aufführung der Werke bietet. Zudem ist sie einen wichtigen Schritt bei der Erschließung von Joseph Joachims Rolle als Komponist.
Bernd Wladika