Carolina Eyck
Fantasias for Theremin and String Quartet
Carolina Eyck (Theremin), American Contemporary Music Ensemble
Ob Kontrabass oder Triangel, Tuba oder Piccoloflöte: Der Spieler muss sein Instrument berühren. Zwischen zärtlicher Hingabe und robustem Zugriff ist da alles möglich. Das Theremin verweigert sich all diesen Umarmungen. Man spielt es touchless. Entwickelt wurde das auch Ätherofon genannte Instrument 1920 von dem in die USA emigrierten Russen Lew Termen, der sich dort Leon Theremin nannte. Der Spieler steht vor einer Apparatur, die, vereinfacht gesprochen, aus einem senkrechten Stab (für die Tonhöhe) und einem waagerecht angebrachten Bogen (für die Dynamik) besteht. Beide umgibt ein elektromagnetisches Feld, das auf Annäherungen der Hände reagiert. Dem Theremin-Spiel eignet dadurch ein ganz eigener Zauber, ähnlich den rätselhaften Bewegungen eines Magiers.
Doch so faszinierend das Instrument ist die Zahl der professionellen Theremin-Spieler weltweit ist überschaubar. Einer der Stars der Theremin-Gemeinde heißt Carolina Eyck. Sie erweitert das Repertoire durch Eigenkompositionen und nutzt ihr Instrument außerdem zu allerlei improvisatorischen Ausflügen, zum Beispiel in den Jazz oder in die Minimal Music. Gelegentlich webt sie dank overdubbing mit ihrer wunderbaren Stimme kunstvolle Muster und unterlegt diese ihrem Theremin-Spiel (zu bestaunen auf Youtube in ihrer Version des Chaplin-Evergreens Smile).
Komposition und Improvisation führt Carolina Eyck in den sechs von ihr selbst geschriebenen Fantasien der vorliegenden CD zusammen. Dem Streichquartett des American Contemporary Music Ensemble fällt dabei die Rolle zu, einen Klangteppich auszubreiten, während das Theremin als improvisierender Solist auftritt. In fast allen der zwischen dreieinhalb und knapp acht Minuten dauernden Stücke wird eine einzige kompositorische Idee entfaltet. Der erste Track führt in die Welt der minimalistischen Rhythmuspatterns. Die Streicher spielen eine durch den Tonraum hinauf- und hinabführende, leicht gezackte Figur als Endlosschleife, während Theremin-Klänge umhersausen wie niedliche Raumschiffe im All, oder, um das Bild des Titels aufzugreifen, wie Strange Birds. Im zweiten Track, Luminiscence, dominieren Glissandi und Obertongewisper, im dritten (Sleepy Dragon) dunkles Theremin-Raunen über flackernder Rhythmusfläche.
So klangschön und assoziativ die Musik, so unerfreulich die Tatsache, dass man die Gesamtspieldauer von nur 30 Minuten erst feststellt, nachdem man die CD erworben hat (oder man schaut bei Amazon nach). Produzent Allen Farmelo erklärt (und verklärt) das in einem ziemlich verschwurbelten Essay damit, dass die Fantasias auch als 12-Zoll-LP auf den Markt kommen. Man habe sich deren Archivstruktur untergeordnet, so Farmelo, und bemüht dafür den Philosophen Jacques Derrida, der die Dialektik zwischen Speichermedium und Speicherinhalt durchdacht hat. Weitere krause Gedankengänge folgen, über Walt Disney, Todestrieb, musikalische Archetypen und Carolina Eycks Staunen über Waschbären. So gesehen ist das Booklet eigentlich ein Anti-Booklet. Was hätte Derrida dazu gesagt?
Mathias Nofze