Fantasia

Rubrik: Noten
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Die Wiederverwendung von Musik aus Opern bzw. Bühnen- oder Filmmusik für rein instrumentale Partituren hat eine lange Tradition und auch Hans Werner Henze hat sich bereits vielfach mit dieser Gattung befasst. Schon 1949 entstand die Suite für kleines Orchester nach dem zurückgezogenen Ballett Jack Pudding, und bis 1966 entließ er regelmäßig entsprechende Werke in die Öffentlichkeit. Die Fantasia für Streicher, die es auch in einer Fassung für Streichsextett gibt (wer denkt nicht an Strauss’ Metamorphosen?), bildet zusammen mit der revidierten Fassung des Divertissements Jeux des tritons (aus dem Ballett Undine) von 1967 eine Art Schlusspunkt, bevor diese Tradition 1975 wieder aufgegriffen wurde.
In der originalen Filmmusik zu Schlöndorffs Törless-Film (1966) nutzt Henze Renaissance-Instrumente „als innere Reflexionszonen“ (Michael Struck-Schloen) des Schülers Törless. Lange Bögen, vielfach absteigende Bewegungen in engen Intervallen und überwiegend getragene Tempi, die nur in den Sätzen IV und VI durchbrochen werden, evozieren eine dekadent-morbide Stimmung. Zentraler Satz ist ein Air mit eingelagerter Pastorale (Satz V). 1967 durch die Berliner Philharmoniker unter Hans Zender uraufgeführt, spielte Paul Sacher die Fantasia, durch die Streicherbesetzung quasi nobilitiert, schon 1968 für die Schallplatte ein. Die in Autografie erstellte Studienpartitur wurde offenbar nicht neu gesetzt, man sieht ihr ihr Alter an.
Ganz anders die brillant gesetzte und selbst im Kleinststich sehr gut lesbare Partitur der Sieben Boleros, die ihren Ursprung in der Oper Venus und Adonis (1997) haben. Ein Auftragswerk des Festival de Música de Canarias, wurde es 2000 in Las Palmas de Gran Canaria durch das Yomiuri Nippon Symphony Orchestra unter Gerd Albrechts Leitung im Rahmen dieses Festivals uraufgeführt. Es handelt sich bei diesen Boleros nicht um die erste Komposition mit spanischen Konnotationen – schon Henzes erste Oper Das Wundertheater (1948) stellte eine wortwörtliche deutschsprachige Vertonung eines Intermezzos von Miguel de Cervantes dar. Die Boleros sind, dies betont Henze ausdrücklich in seiner Vorbemerkung, „ganz zitatenfrei meiner Feder entsprungen und in meinen Augen und Ohren ganz und gar spanische Musik […] oder besser: so wie ich mir das Spanische in der Kunst vorstelle“. Dazu versteht Henze sie „als Grußbotschaft an ein fernes, wundersam schönes Land, von dem wir Ausländer so wenig wissen, dass wir andauernd davon träumen“.
Die Sieben Boleros tragen allesamt Titel: „La irascible“ (Die Jähzornige), „La alabanza“ (Ein Lobgesang), „La expectación“ (Erwartung), „El pavo real“ (Der Königspfau), „La soberbia“ (Hochmut), „Dolor“ (Schmerz) und „El gran paso de la Reina Arábica“ (Großartige Tanzschritte der arabischen Königin). Die umfangreiche Besetzung (dreifaches Holz zuzüglich Altsaxofon, 4 Hörner, 4 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Harfe, Celesta, Klavier, Streicher und ein umfangreiches Schlagzeuginstrumentarium für nicht weniger als 7 Spieler) mag trotz des weitgehenden Verzichts auf komplexe Metrik (eine Ausnahme ist „La soberbia“ mit einem häufigen Wechsel verschiedener Achteltakte) vielfache Aufführung verhindern, effektvoll und aufführenswert ist das 22-minütige Werk allemal. Die Farbenvielfalt, die Kraft, auch Raffinesse machen es schon zu einer Freude, allein die Partitur zu lesen, vielmehr das Klangerlebnis dahinter zu imaginieren. Mögen dem farbensprühenden, lebhaften Werk viele Aufführungen beschieden sein.
Jürgen Schaarwächter