Stendel, Wolfgang

Fantasia concertante

für Violine, Violoncello und Orchester, Studienpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Verlag Neue Musik, Berlin 2014
erschienen in: das Orchester 09/2015 , Seite 75

Seinem künstlerischen Credo zufolge ist es für den Komponisten Wolfgang Stendel (*1943) wesentlich, „dass Musik einen bestimmten Grad der Verwandtschaft mit den alten Schönheiten aufweist“. Dementsprechend komme einem Künstler die Aufgabe zu, „die von Generation zu Generation fortwirkenden progressiven Gedanken fasslich im jeweils speziellen Genre“ auszuformen – oder anders formuliert: „Es kommt in der musikalischen Kunst auf eine Idee und auf eine gewissenhafte Verwirklichung an.“ In der bereits 1984 entstandenen Fantasia concertante exemplifiziert Stendel dies mit Bezug auf die in der Musikgeschichte ohnehin sehr frei behandelte Fantasie-Gattung und knüpft dabei zumindest ideell an konzertante Stücke des 19. Jahrhunderts wie Robert Schumanns Phantasie C-Dur op. 131 an.
Stendel setzt den Formverlauf aus größeren und kleineren Abschnitten zusammen, denen bestimmte, vom Hauptmaterial abgeleitete Aggregatzustände zugrundeliegen. Bezeichnend dafür ist die konsequent fortschreitende, am Schaffen Arnold Schönbergs und Anton Weberns geschulte Arbeit mit kleinsten Motiven, hier zunächst ausgehend von einer Trillerbewegung in den beiden Piccoloflöten, die von engräumigen Bewegungen der beiden Solisten beantwortet wird. Kontrastierend zu diesem Beginn werden – fast schon im Sinne von Refrains – weitere Texturen eingesetzt, beispielsweise eine in vier unterschiedlichen rhythmischen Unterteilungen organisierte Schicht aus den gleichmäßigen Schlägen kleiner Trommeln oder eine akkordisch entfaltete Flageoletttextur.
Im Verlauf des 18-minütigen Stücks treten die beiden Streicher immer gemeinsam als „Metainstrument“ ganz im Sinne eines überdimensionierten Streichinstruments mit acht Saiten auf. Dessen Konfrontation mit dem großen Orchester vollzieht sich auf unterschiedliche Weise: Auffällig sind etwa jene Passagen, bei denen die Klangfarbe der Solisten in einen vielfach unterteilten Streicherapparat integriert wird, wodurch Violine und Violoncello ihre solistische Qualität verlieren, wogegen in den lediglich von einer Harfe begleiteten Soloabschnitten Violine und Violoncello im eng verzahnten musikalischen Dialog miteinander agieren.
Ob die bereits 1984 entstandene Komposition jemals aufgeführt wurde, geht weder aus der vorliegenden, in manchmal etwas holprigem Computersatz gehaltene Studienpartitur noch aus den Informationen auf der Website des Verlags Neue Musik hervor. Einige Stellen mit unbefriedigender Balance sowohl innerhalb der Einzelstimmen des gelegentlich sehr dicht eingesetzten Orchesters als auch im Verhältnis zwischen Solisten und orchestralen Klangkörper lassen für eine praktische Realisierung gewisse Probleme erwarten; andere Passagen wie der Schluss vermitteln dagegen aufgrund feiner durchbrochener Arbeit und überlegtem Einsatz von Klangfarben schon im Partiturbild den Eindruck von großer Transparenz.
Stefan Drees