Fauré, Gabriel
Fantaisie op. 79 und Morceau de lecture für Flöte und Klavier
hg. von Annette Oppermann, Partitur und Stimme
Obwohl ihn Saint-Saëns dort mit der Musik von Chopin, Schumann, Liszt und Wagner vertraut gemacht hatte, war es für Fauré als Absolventen lediglich einer kirchenmusikalisch orientierten Ausbildung an der École Niedermeyer, also weder mit Studium am Conservatoire noch Rompreis-Ambitionen, in Paris nicht leicht, Anerkennung zu finden. Schließlich konnte er 1896 dennoch Massenets Kompositionsklasse übernehmen; Enescu, Koechlin, Florent Schmitt und auch Ravel gehörten zu seinen Schülern.
Der mit Fauré befreundete Pariser Flötist und Dirigent Paul Taffanel, der seit 1893 für die Ausbildung der Flötisten verantwortlich war, überließ ihm 1898 den Kompositionsauftrag für das alljährliche Prüfungsstück. Damit sollten die Fähigkeiten der Kandidaten in gebotener Kürze, d.h. maximal fünf bis sechs Minuten Spieldauer, zu prüfen sein keine leichte Aufgabe, mussten doch Kriterien wie Phrasierung, Ausdruck, Tonkontrolle und Virtuosität in geeigneter Weise berücksichtigt werden. Fauré war deshalb Taffanels kollegiale Hilfe bei der Durchsicht der Flötenstimme sehr willkommen, er bedankte sich ausdrücklich und herzlich dafür und widmete ihm natürlich auch die Fantasie op. 79.
Die Fantasie zeigt Faurés leichte und empfindsame Art des Komponierens, glänzend und wirkungsvoll in jeder Phrase, spielerisch die Figuren, organisch die Steigerungen und durch Auftaktigkeit unterstützte Präsentation der technischen Schwierigkeiten. Das macht ihren musikalischen Reiz aus und ihre andauernde Beliebtheit, die sie zum festen Kern des Flötenrepertoires werden ließ. Leider hat Fauré außer dieser Fantasie und dem für die Prüfung notwendigen Morceau de lecture sonst nichts für Flöte komponiert. Bei allen anderen Stücken handelt es sich um Bearbeitungen, an erster Stelle die Pavane op. 50 (1887), ursprünglich ein Orchesterstück, und die Sicilienne op. 78 (in zwei Bühnenmusiken verwendet).
Die neue Ausgabe beruht mangels Autograf auf der immer noch erhältlichen, aber nicht ganz fehlerfreien bzw. zwischen den beiden Flötenstimmen nicht immer konsistenten Pariser Erstausgabe bei Hamelle. Sie punktet mit informativem Vorwort zur Entstehung der Komposition, Kritischem Bericht und guten Wendestellen im Klavier. Die Fingersätze von Klaus Schilde sind, abgesehen von der Angabe in Takt 83, die auch ein Druckfehler sein könnte, sicher hilfreich. Nur lassen sie sich leider nicht ausradieren, wenn man andere Möglichkeiten versuchen möchte.
Das Morceau de lecture, ein nur 19 Takte umfassendes Adagio non troppo, wurde 1977 von der Besitzerin des Autografs unter dem irreführenden Titel Morceau de concours veröffentlicht, allerdings in einer erweiterten und bearbeiteten Fassung. Hier erhält man natürlich den unveränderten Text. Im fliegenden Wechsel aphoristischer Gedanken wie eine kleine Solokadenz gestaltet, verlangt es in der Flöte schnelle Auffassungsgabe und musikalische Beweglichkeit. Der schlichte akkordische Klavierpart erlaubt dem Prüfungskandidaten aber eigene Entscheidungen hinsichtlich der musikalischen Gestaltung.
Ursula Peek