Werke von Christopher Dell, Christian Lillinger und Jonas Westergaard
Extended Beats
Christopher Dell (Vibrafon), Christian Lillinger (Drums, Percussion), Jonas Westergaard (Kontrabass), Tamara Stefanovich (Klavier), Martin Adámek (Klarinette), Johannes Brecht (Electronics), Sonar Quartett, Klangforum Wien u. a.
In edel-schwarzes Seidenpapier verpackt, präsentiert das DLW-Trio Extended Beats als Geschenk für Connaisseure. Denn den Kollektivkompositionen hörend zu folgen, erfordert Distanz zu Gewohnheiten.
Diese Musik, meistens in variablen, um Gastmusiker:innen erweiterten Besetzungen, orientiert sich nicht in scheinbar objektiver Zeit an Takten, gar Taktstrichen, sondern entsteht, eher im Sinn von Albert Einstein, in je subjektiver Zeitgestaltung. Was nicht Willkür bedeutet, vielmehr die gespannte Parallelität persönlich gestalteter Rollen. Etwa wenn ein ziemlich regelmäßiger Maracas-Puls pochende Bass- und Drum-Akzente begleitet, während vom Vibrafon Akkordrufe dazwischengeschoben werden. So formen sich in Echtzeit disparate Elemente zu elastischen Strukturen, etwa dadurch, dass Tamara Stefanovich am Klavier verwirbelte Glissandi hinzufügt, die sich in einem großen dynamischen Bogen bei vagem Swing miteinander verbinden. Zäsuren wie eine poetische Episode aus statischen Geräuschen und Klangpartikeln werden zu Brücken für ein gezacktes Riff, das mit Saxofon und Posaune zum repetitiven Motiv wächst. Auch werden in irisierende Streicherflächen einzelne Vibrafon- und Drum-Tupfer gestreut, die langsam voranschweben. In einem quasi Bebop-Muster mäandern Bassklarinetten-Extempores, die intensiv mit dem DLW-Trio interagieren. In einen fast banalen Two-Beat schmuggeln sich Schwingungen einer später frei variierten Bluesphrase, umgarnt von neobarocken Klaviersequenzen.
Solch komplexes Interplay gelangt einerseits zu einem filigranen Intermezzo mit poetischem Klarinettenpart, andererseits in diskreten Kontrasten von elektronischen Sounds und Staccato-Figurationen des DLW-Trios in einer sich kontinuierlich steigernden Tour de Force zu einem perkussiven Finale.
Überraschend ist, dass diese Extended Beats über die lange Strecke ihrer Entwicklungen und Modifikationen stets nachvollziehbar bleiben, die gehörte Zeitgestaltung keine ermüdende Wirkung hat. Außerdem motivieren die wechselnden Timbres und instrumentalen Kombinationen dazu, den primär rhythmischen Progressionen in minimalen Motiven aufmerksam zu folgen. Individuelle Diskurse sind an steuernde Ideen gekoppelt, Freiheit in Improvisationen wird verpflichtend fürs Ganze. Durchgängige Gedanken und verknüpfende kompositorische Gelenke bringen Zusammenhänge in die Extended Beats und zurren sie schließlich zu einem Zyklus. Dieses Konzept rechtfertigt das Seidenpapier.
Hans-Dieter Grünefeld