Ludwig van Beethoven
Evolution – Complete Cello Sonatas
Adolfo Gutiérrez Arenas (Violoncello), Christopher Park (Klavier)
Nicht „entschärft“ soll sie klingen, abgerundet und gefällig. Vielmehr streben Adolfo Gutiérrez Arenas und Christopher Park danach, Beethovens Musik in ihrem permanenten Spannungszustand zwischen hoher Kompositionskunst und radikaler Emotionsäußerung erlebbar zu machen. Diese Intention ist nicht neu, doch drängte es die beiden Musiker verständlicherweise, das Projekt einer weiteren Aufnahme der viel gespielten fünf Beethoven’schen Cellosonaten mit einem eigenständigen Interpretationsansatz zu verknüpfen, der (vielleicht) neues Licht auf die bemerkenswerte Werkgruppe lenkt. Diese im Booklet formulierte Motivation in musizierte Realität umzusetzen ist, um es vorwegzunehmen, glänzend gelungen, und es hätte hierzu weder des reißerischen Titels Evolution noch kunstvoll verwackelter Action-Fotos bedurft.
Unterstützt durch exzellente Aufnahmetechnik kreieren Gutiérrez Arenas und Park ein Klangbild, das die changierenden Stimmgewichtungen und permanenten Rollenwechsel der beiden Instrumente perfekt abbildet: Cello und Klavier sind stets insoweit „getrennt“, dass nichts (d.h. insbesondere kein Celloton!) untergeht oder verschwimmt. Andererseits entsteht eine hohe Klang-affinität, die ihrerseits korrespondiert mit großer Homogenität in puncto Dynamik, Artikulation, Phrasierung. Hier beweisen die Musiker durchaus Courage: Wo der Notentext es nahelegt, werden Brüche, ruppige Phrasenanfänge und -enden, Kontraste nicht gescheut. Es gibt zahlreiche Momente von großer Zartheit und Fragilität, dann wieder hören wir schmelzendes Cantabile, übermütiges Giocoso, kantige Kontrapunktik, ausgeprägt ruhige und ausgeprägt schnelle Tempi, kurzum: das ganze Spektrum Beethoven’scher Ausdruckswelten in unverfälschten, klaren Farben.
Nicht anders als in den frühen Klaviersonaten und Streichquartetten zeigt sich Beethoven in den beiden 1796 komponierten Sonaten op. 5 von seiner progressiven Seite: Hier entsteht im Grunde die Gattung Cellosonate als Duo gleichberechtigter Partner.
Überraschendes geschieht auch in den weiteren Sonaten: Zeichnet sich op. 69 (1808) durch ein hohes Maß an Kantabilität und zugleich dichte motivisch-thematische Arbeit aus, so betreten wir mit den 1815 entstandenen Sonaten op. 102 ein „Experimentalstudio“, das auf die späten Quartette hindeutet. Die quasi-improvisatorischen Passagen in op. 102,1 und die verquere Schlussfuge aus op. 102,2 haben in der Kammermusikliteratur kaum ihresgleichen.
Adolfo Gutiérrez Arenas’ schlanker, sehniger, von intelligentem (Non-) Vibrato-Gebrauch geprägter Celloton und Christopher Parks transparentes Klavierspiel, das solistische Top-Niveau der beiden Musiker, gepaart mit kammermusikalischer Sensitivität – all dies macht die Neuaufnahme zu einem echten Highlight des Beethoven-Jahres … und der Folgezeit! Auch das Manko eines durch die Übersetzungsmühle gedrehten, eigentlich unlesbaren Booklettexts soll unser Gesamtlob nicht schmälern.
Gerhard Anders