Salieri, Antonio

Europa riconosciuta

Teatro alla Scala, Ltg. Riccardo Muti, Regie: Luca Ronconi

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Erato/Warner
erschienen in: das Orchester 10/2017 , Seite 75

Wiedereröffnung der Mailänder Scala 2004 nach drei Jahren Umbau und Renovierung – da musste am traditionsreichen 7. Dezember etwas ganz Besonderes erklingen. Der künstlerisch konservative Riccardo Muti setzte durch, dass die 1778 zur Eröffnung des Hauses – und seither nie wieder! – gespielte Oper Antonio Salieris L’Europa riconosciuta (Die wiedererkannte Europa) neuinszeniert wurde. Warum der Mitschnitt dieses Abends erst jetzt veröffentlicht wurde, bleibt Firmen- oder Marketinggeheimnis.
Auch ohne ein Barockmusikensemble ist musikalisch alles vom Feinsten. Muti bringt mit einer Oboe concertante, mit einem Continuo aus Cembalo und Cello sowie dem straff geführten Scala-Orchester zum Klingen, dass Salieri sowohl an Gluck erinnernde Strenge und Ernsthaftigkeit, dann auch barocke Emphatik und musikdramatischer Furor kompositorisch zu Gebote standen: Gewittersturm, Klage-, Hass- und Rache-Arien, Duette, Klage- und Freudenchöre nicht um Zeus und Europa, sondern um die Herrschaftsansprüche einer Prinzessin. Alles gut gemacht, wenn auch ohne die Tiefe eines Gluck oder Mozart.
Dazu haben Muti und die Scala die bestmögliche Solistenbesetzung aufgeboten. Die zu Salieris Zeiten noch üblichen Kastraten sind vokal exzellent „ersetzt“: Allen voran brilliert Daniela Barcellona als Prinz Isséo, im Zwiespalt zwischen seiner früheren Liebe, der Königstochter Europa, und der Prinzessin Semele, die ihn begehrt und der er schließlich auch nachgibt. Doch auch Europa (Diana Damrau) und Semele (Désirée Rancatore) führen barocke Virtuosität und hochschießende Emotionen vor. Die Inszenierung bemüht zwar viele Raffinessen der erneuerten Scala-Technik, kann aber das Werk nicht fürs europäische Opernrepertoire aufwerten. Regisseur Luca Ronconi changiert zwischen stilisierter Antike und einem Schuss Moderne, ohne die politische Dimension einer am Ende von Frauen befriedeten Welt zu wagen. Wenn das dann ein Pier Luigi Pizzi ausstattet, wird alles gelackt edel. So agieren die Hauptfiguren in Toga oder antiker Rüstung. Heinz Spörlis eingelegtes Ballett tanzt in höfischen Kostümen des Jahres 1778. Soldaten sind wie Star-Wars-Trooper kostümiert. Der anfangs ins Orchester verbannte Chor betritt zum Lieto fine als „Snob-Society“ in Abendkleidern und Smoking die Bühne…
Alles fein ausgeführt, nur kommen darüber Personenregie und Feinzeichnung bei den Solisten zu kurz. Als beim Finale eine bühnengroße Spiegelwand im Hintergrund den ganzen Zuschauerraum widerspiegelt, sich hinter dem Chor also das Premierenpublikum sieht, ist die Hauptzielrichtung klar: eine Scala-Selbstfeier. Prompt kommt dafür auch etliches Buh aus der Galeria.
Es bleibt: Repertoirelücke geschlossen; Salieri eingeordnet; ein Scala-Dokument – mehr nicht.
Wolf-Dieter Peter

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support