Bauchhenß, Elisabeth

Eugen Szenkar (1891-1977)

Ein ungarisch-jüdischer Dirigent schreibt deutsche Operngeschichte

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau, Köln 2016
erschienen in: das Orchester 03/2017 , Seite 61

Der Eindruck war tief und die Wirkung nachhaltig, denn anders ist es kaum zu erklären, dass die Autorin – Zoologin von Beruf –, die den Dirigenten in ihrer Jugend kennen gelernt hat und seiner Faszination erlegen ist, Jahrzehnte später, im Ruhestand, die Kärrnerarbeit auf sich nahm, das „Bild eines großen Musikers mit einem bewegten und bewegenden Lebensweg“ zu zeichnen. Entstanden ist die material- und facettenreiche Biografie eines Vergessenen, die nicht nur dessen Verdienste zurück ins Gedächtnis holt, sondern auch eine beklemmende (und beklemmend aktuelle) Zeit- und Gesellschaftsstudie liefert.
Eugen Szenkar, am 9. April 1891 in Budapest geboren, war ein Wunderkind: Mit sieben Jahren trat er als Pianist auf, mit acht als Dirigent, und als Fünfzehnjähriger komponierte er eine Operette. Nach dem Studium begann die „Ochsentour“: Korrepetitor in Budapest, Kapellmeister in Prag, Budapest, Salzburg und Dresden. Und 1917 trat er, dem die Presse „Talent, Standfestigkeit, Energie, Feinfühligkeit und Geschmack“ attestiert hatte, die erste Chefposition an: Er wurde Leiter der Oper und der Kapelle am Herzoglichen Hoftheater Altenburg. Hier begann sein Weg als führender deutscher Dirigent, und hier vollzog sich im Kleinen das, was sein Leben insgesamt prägen sollte: Zielstrebig setzte er die Vergrößerung von Orchester (auf 40 Musiker) und Orchestergraben durch, er erweiterte das Repertoire (Wagners Ring!), förderte Zeitgenossen und fiel mit extravaganten Konzertprogrammen auf. In Berlin wurde er „als junges Dirigentengenie“ wahrgenommen, doch in Altenburg begann die Diskussion, ob er als Ausländer geeignet sei, „den Geist des deutschen Kunstwerks“ zu erfassen.
Als nach der Novemberrevolution der SPD-Ministerpräsident des Freistaates Sachsen-Altenburg die Kapelle wegen Geldmangels reduzieren wollte, demissionierte Szenkar und ging als Operndirektor und Konzertdirigent nach Frankfurt, Ber­lin und Köln. Fortan war sein Weg von Triumphen als Anwalt der Avantgarde (u.a. Schönberg, Berg, Bartók, Strawinsky, Prokofjew) ebenso bestimmt wie von Intrigen, Krawallen und antisemitischer Hetze. 1933 verließ er Deutschland, und auch dann mischten sich Erfolge mit Enttäuschungen: Ausweisung aus der Sowjetunion, wenig Resonanz beim Aufbau des Musiklebens im brasilianischen Exil. 1950 in die BRD zurückgekehrt, erlebte er als GMD in Mannheim und Düsseldorf das gleiche Spiel wie früher: Begeisterung bei Musikern und Publikum, Anfeindungen durch „Volkes Stimme“ und die Presse. „Wiedergut-
machung“ wurde ihm 1960 nur als materielle Entschädigung zuteil. Danach folgten einige Gastdirigate, dann wurde es stiller um Szenkar. Kontakten zu Medien blieb er weiter abgeneigt, und am 25. März 1977 starb er in Düsseldorf.
Seinen Lebensweg, der wie der Mahlers und jener Generation von Zeitgenossen, mit denen und für die er sich engagiert hat, verlief, hatte er als den eines Ausländers, eines Juden und eines „Linken“ empfunden – ein Unangepasster, der sich und seinen künstlerischen Überzeugungen stets treu geblieben ist.
Eberhard Kneipel