Simbringer, Heinrich

Esslinger Turm-Musik für neun Bleckbläser op. 96, Zwölftonwerk Nr. 20

hg. von Thomas Emmerig, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Laurentius, Frankfurt am Main 2015
erschienen in: das Orchester 10/2016 , Seite 62

Es gibt eine Generation von Musikern, deren Leben und Schaffen in die dunkelste Zeit Deutschlands fällt. Es waren nicht nur jüdische Musiker, viele hatten darunter zu leiden. Heinrich Simbrigers Biografie ist dafür ein Beispiel. Er wurde 1903 in der nordböhmischen Stadt Aussig geboren und studierte in Prag, München und Wien Komposition. Es schien alles vorgezeichnet für eine gute berufliche Laufbahn. Der Zweite Weltkrieg machte seine Pläne obsolet. Simbriger überstand diese Zeit mit unterschiedlichsten Tätigkeiten, und auch in den Jahren danach nahm er verschiedene Stellen an, um seinen Le­bensunterhalt zu verdienen. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, über musiktheoretische Aspekte zu publizieren und auch selbst zu komponieren. Sein theoretisches Hauptwerk entstand in jener Nachkriegszeit: die Komplementäre Harmonik, in der er den Versuch unternahm, Zwölftonordnung und tonale Ordnung zu verbinden. Das vorliegende kammermusikalische Werk ist dann auch als Zwölftonwerk Nr. 20 bezeichnet.
Beim Betrachten der Partitur fällt allerdings zuerst das Musikantische an dieser Komposition auf, vielleicht der Besetzung mit neun Blechbläsern geschuldet. Es stehen sich zwei motivische Elemente gegenüber: eine streng wirkende Marcato-Idee und eine lyrische Passage, jeweils aufgelockert durch Staccato-Achtellinien, die man durchaus auch als eigenständigen Kontrapunkt verstehen könnte.
Vier Teile in dem durchkomponierten Stück sind zu erkennen. Dabei überraschen bei Fermaten und sonstigen der Komposition immanenten Zielen und Höhepunkten immer wieder reine tonale Akkorde (B-Dur, C-Dur, a-Moll usw.). Kleine rhythmische Begleitfloskeln stellen die Interpreten vor keine besonderen Herausforderungen. Offensichtlich war Simbriger mit den klassischen Schwächen seiner Musiker vertraut: So findet sich in der Partitur an einer Stelle mit einer heftigen Triolensteigerung die Bemerkung: „nicht eilen“. Trotz seiner musiktheoretischen Herangehensweise an das Komponieren war er also auch ein bodenständiger Praktiker.
Die bläserischen Herausforderungen sind insgesamt maßvoll, das Notenbild gut leserlich und das Nachwort in der Partitur durchaus umfassend informativ. Somit stellt die Esslinger Turm-Musik für gute Amateurensembles eine Ergänzung ihres Programms dar, aber auch für professionelle Musiker ist es ein Stück, das Freude macht.
Der noch junge Verlag Laurentius hat in sein Programm dankenswerterweise Komponisten aufgenommen, die sonst nicht so einfach ins Bewusstsein der (musizierenden) Öffentlichkeit gelangen würden. Es lohnt sich, das Verlagsprogramm nebst einigen Kommentaren dazu im Internet zu studieren. Dort lässt sich so manches Stück entdecken.
Peter Hoefs